Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
Lob.
Wie jeden Abend packte sie nach dem Essen ihre Harfe aus. Maestro Dell verzichtete ausnahmsweise auf die unvermeidlichen Proben, woraus ich schloss, dass er mit seiner Truppe bis auf Tassin zufrieden gewesen war. Diese gönnte mir derweil keinen einzigen Blick, sondern hatte sich zu einem der Fuhrmänner gesetzt und himmelte ihn an. Von der Verletzung in ihrem Gesicht war nur noch ein dünner roter Strich zu sehen, der von einer leichten Schwellung war. Sie würde gut ausheilen.
Creece ging los, um bei unserer Herde Nachtwache zu halten. Ich streckte mich außerhalb der Reichweite des Feuerscheins auf meinem Umhang aus, in der Absicht, so schnell und ausgiebig wie möglich den versäumten Schlaf nachzuholen. Angesichts ihrer Ausschweifungen der letzten Nacht rechnete ich damit, dass auch die anderen sich bald zur Ruhe begeben würden. Das Murmeln ihrer Unterhaltung und das sachte Harfenspiel Merles lullten mich bald ein. Dann entwickelte sich daraus allmählich eine rhythmische Melodie, und sie begann zu singen.
Die Worte ›Turm der Geweihinsel‹ rissen mich kurz vor dem Einschlafen zurück. Schlagartig war ich hellwach. Sie sang von der Schlacht, die im letzten Sommer dort stattgefunden hatte und die das erste ernsthafte Zusammentreffen der Rurisk mit den Roten Korsaren war. Ich erinnerte mich einerseits nur verschwommen an das Gefecht, andererseits jedoch auch viel zu genau. Wie Veritas mehr als einmal bei mir festgestellt hatte, neigte ich dazu, im Kampf alles zu vergessen, was Meisterin Hod mir beigebracht hatte, und blindlings um mich zu schlagen. Deshalb war ich mit einer Axt bewaffnet in diese Schlacht gezogen und hatte sie mit einer Wildheit gebraucht, wie ich sie bis dahin nie bei mir vermutet hätte. Hinterher sagte man, ich hätte den Anführer der Piraten getötet. Ich hatte nie herausgefunden, ob dies stimmte.
Merles Loblied auf die Schlacht ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass es so gewesen war. Mir stand fast das Herz still, als ich sie von ›Chivalrics Sohn‹ singen hörte, ›mit Augen wie Feuersglut/ nicht seines Namens, doch von seinem Blut...‹ Weiter ging es mit einem Dutzend wortreich geschilderter Hiebe, die ich ausgeteilt hatte, um ebenso viele Feinde zu fällen. Es war seltsam ernüchternd, mit anhören zu müssen, wie diese Taten als edel und inzwischen fast legendär verherrlicht wurden. Ich wusste, es gab viele Krieger, die davon träumten, in Heldenliedern besungen zu werden. Mir war es unangenehm. Ich erinnerte mich keineswegs daran, dass die Klinge meiner Axt in der Sonne gefunkelt hätte wie Gold oder dass ich so tapfer gekämpft hätte wie der Bock als Wappentier auf meiner Brust. Mir hatte sich der süßliche Geruch von Blut eingeprägt und wie ich auf die Gedärme eines sterbenden Mannes getreten war, der noch zuckte und stöhnte. Alles Bier in Bocksburg hatte mir in jener Nacht nicht dazu verholfen, diese schrecklichen Bilder aus dem Gedächtnis zu verbannen.
Als das Lied schließlich zu Ende war, holte einer der Fuhrmänner tief schnaufend Luft. »Das hast du dich also gestern Nacht in der Schänke nicht zu singen getraut?«
Merle stieß ein geringschätziges Lachen aus. »Meine innere Stimme sagte mir, dass ich dort keine Beifallsstürme damit auslösen würde. Mit Liedern über Chivalrics Bastard ist dort kein Groschen zu verdienen.«
»Ich finde es seltsam«, bemerkte Dell nachdenklich. »Auf der einen Seite haben wir hier unseren König, der einen Preis auf seinen Kopf aussetzt, und seine Soldaten erzählen uns, seid auf der Hut, der Bastard besitzt die Alte Macht und hat mit ihrer Hilfe dem Tod ein Schnippchen geschlagen. Aber dein Lied schildert ihn als eine Art Held.«
»Nun, es ist ein Lied aus dem Herzogtum Bock, und dort stand er in gutem Ansehen, wenigstens eine Zeitlang«, erklärte Merle.
»Aber jetzt nicht mehr, wette ich. Außer vielleicht wegen der hundert Goldkurante, die man bekommt, wenn man ihn der Garde des Königs ausliefert«, meinte der zweite Fuhrmann.
»Wahrscheinlich«, stimmte Merle leichthin zu. »Obwohl es in Bock immer noch einige Leute gibt, die behaupten, dass man nicht seine ganze Geschichte kennt, und der Bastard wäre nicht das Ungeheuer gewesen, als das man ihn neuerdings hinstellt.«
»Mir ist das alles ein Rätsel«, beklagte sich Madge. »Ich dachte, er wäre hingerichtet worden, weil er mit seiner Zaubermacht König Listenreich getötet hat.«
»So heißt es«, erwiderte Merle. »Die Wahrheit ist, er starb in seiner
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