Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
dichten?«
Merle schnaubte angewidert. »Du hast mehr Erfahrung mit den Soldaten des Königs als ich, da bin ich mir sicher. Aber selbst ich weiß, dass man eine fahrende Musikantin mit Anspruch auf die Belohnung wahrscheinlich ein paar Tage später als Leiche im Fluss treibend finden würde; derweil einige Soldaten sich plötzlich im Wohlstand sonnten. Nein, ich habe dir gesagt, mir liegt nichts am Gold, Bastard. Ich suche nach einem Lied.«
»Nenn mich nicht so«, warnte ich sie scharf. Sie zuckte mit den Schultern und wandte sich von mir ab, doch plötzlich schnippte sie mit den Fingern, schaute mich wieder an und zwinkerte mir vergnügt zu.
»Aha, ich glaube, jetzt bin ich dahintergekommen. Damit hat dich Tassin also erpresst, stimmt’s? Sie wollte ein Schweigegeld.«
Ich gab darauf keine Antwort.
»Gut, dass du ihr nichts gegeben hast. Wenn sie wirklich überzeugt wäre, dass du der Bastard bist, hätte sie es für sich behalten, um ihr Wissen später an des Königs Garde zu verkaufen. Das aber nur, weil sie in Wirklichkeit keine Ahnung hat und glaubt, dass man sie mit dem Gold unbehelligt ziehen lassen würde.« Merle stand auf und streckte sich träge. »Wie auch immer, ich schlafe noch ein wenig, solange es sich lohnt. Aber behalte mein Angebot im Gedächtnis, du wirst kaum ein besseres finden.« Danach warf sie theatralisch ihren Umhang über die Schulter und verneigte sich schwungvoll vor mir, bevor sie sich abwandte und trotz der Dunkelheit trittsicher wie eine Ziege den Hang hinabschritt. Unwillkürlich erinnerte sie mich an Molly.
Wieder allein mit meinen Gedanken beschäftigte mich erneut der Plan, aus dem Lager zu schleichen und mich auf eigene Faust zum Blauen See durchzuschlagen. Für Tassin und Merle wäre es der Beweis der Richtigkeit ihrer Vermutungen. Merle würde womöglich meine Verfolgung aufnehmen, während Tassin versuchen würde, an die Belohnung für meinen Kopf zu kommen. Beides gefiel mir nicht. Nach reiflicher Überlegung erschien es mir besser, vorerst als Tom der Schafhirte mit dem Treck weiterzuziehen.
Ich hob den Blick zum Nachthimmel, der sich klar und kalt über mir wölbte. Fast glaubte man, einen Hauch von Frost in der Luft zu spüren. Wenn ich die Berge erreichte, würde dort bereits Winter herrschen. Hätte ich doch nur nicht die ersten Monate des Sommers damit verschwendet, ein Wolf zu sein! Meine Sehnsüchte packten mich erneut, und die Mauern, mit denen ich seit meiner Flucht aus Fierant mein Bewusstsein verschlossen hielt, empfand ich in diesem Augenblick eher als Gefängnis denn als Schutz.
Nach einer Weile vergingen die heftigen Wellen der Sehnsucht aber wieder. Ich hob den Kopf und schaute auf die friedlichen Schafe, auf die Wagenburg unten und das schlafende Lager. Ein Blick zum Mond hin sagte mir, dass meine Wache längst vorüber war. Creece hatte einen festen Schlaf, also stand ich auf, streckte mich und ging hinunter, um ihn aus seinen warmen Decken zu scheuchen.
Die nächsten beiden Tage blieben ereignislos, nur dass das Wetter herbstlicher, kälter und windig wurde. Am Abend des dritten Tages, als man im Lager nach dem Essen ums Feuer saß, während ich meine Wache angetreten hatte, entdeckte ich eine Staubwolke am Horizont. Erst dachte ich mir nichts dabei, denn immerhin befanden wir uns auf einer der meistbenutzten Routen durch die Steppe von Farrow und lagerten an einer Wasserstelle. Als wir eintrafen, hatte bereits eine Kesselflickerfamilie mit ihrem Wagen hier gestanden. Natürlich nahm ich an, dass, wer immer da kam, ebenfalls zum Wasser wollte. Also schaute ich in die tiefer werdende Dämmerung und beobachtete, wie die Staubwolke allmählich größer wurde. Nach und nach zeichneten sich in dem Abenddunst Gestalten ab; es waren Berittene, die in geordneter Reihe und mit militärisch kurzem Trab herannahten. Je näher sie kamen, umso weniger Zweifel konnte es für mich geben. In der Dunkelheit konnte man zwar die goldbraunen Waffenröcke nicht erkennen, aber ich wusste, es waren Soldaten von Edels Garde.
Ich wollte fast aufspringen und nur noch weglaufen. Doch eine kühle Überlegung sagte mir: Falls sie wirklich auf der Suche nach mir waren und den Auftrag hatten, mich gefangenzunehmen, dann wäre es ihnen mit ihren Pferden ein Leichtes gewesen, mich auf der Flucht einzuholen. Ringsum erstreckte sich nur flaches Land, weit und breit bot sich weder ein Schlupfloch noch ein richtiges Versteck. Und falls sie sich nur auf einem Patrouillenritt
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