Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
geleiten.
»Reichlich vornehme Manieren für einen Schafhirten, Tom«, bemerkte sie mit einer vollkommen veränderten Stimme. Sie lachte kurz auf, ging hinein und überließ es mir, zurückzugehen und das Pferd auszuspannen. Ich schüttelte über mich selbst den Kopf, doch gleichzeitig musste ich schmunzeln. Mir gefiel die alte Frau. Ich warf mir mein Bündel über die Schulter und führte die Schecke in das Gebäude, worin auch die anderen Pferde untergebracht waren. Während ich sie ausschirrte, schaute ich mich um. Das Innere des Gebäudes war ein einziger, langer Raum; in dem Kamin an einer Giebelseite hatte man inzwischen Feuer gemacht. Die Mauern waren aus Stein, und der Boden bestand aus festgestampfter Erde. An der anderen Giebelseite drängten sich die Pferde um eine mit Heu gefüllte Krippe, und als ich unsere Schecke zu ihnen führte, kamen Niks Männer mit Wassereimern, um einen Trog zu füllen. Eine dicke Schicht Mist am Ende des Raums verriet mir, dass dieser Schuppen häufig von den Schmugglern benutzt wurde.
»Was war das früher für ein Ort?«, fragte ich Nik später am Feuer.
»Ein Schafstall«, antwortete er. »Der Schuppen bot Schutz für die frühen Lämmer. Hier wurde auch geschoren, nachdem wir die Schafe im Fluss gewaschen hatten.« Seine blauen Augen blickten einen Augenblick ins Leere; dann stieß er ein bitteres Lachen aus. »Das ist lange her. Heutzutage gibt es nicht einmal mehr genug Weide für eine Ziege, geschweige denn für Schafe, wie wir sie hatten.« Er deutete auf das Feuer. »Iss etwas und schlaf, solange Zeit dazu ist, Tom. Für uns ist die Nacht kurz.« Sein Blick streifte erneut meinen Ohrring, als er an mir vorbei zur Tür ging.
Das Nachtmahl bestand aus Brot, Räucherfisch, Haferbrei und heißem Tee, und es stammte zum größten Teil aus dem Proviant der Pilger; aber Nik hatte gerade so viel beigesteuert, dass sie ohne Murren seine Männer, Merle und mich mit durchfütterten. Krähe hatte ihre eigene Verpflegung und kochte sich selbst eine Kanne Tee. Die anderen Pilger begegneten ihr höflich, und sie war höflich zu ihnen. Dennoch sah man deutlich, dass es nichts Verbindendes zwischen ihnen gab außer dem gemeinsamen Reiseweg. Nur die drei Kinder zeigten keine Scheu vor Krähe und bettelten darum, dass sie ihnen getrocknete Apfelscheiben gab und Märchen erzählte, bis sie die kleinen Plagegeister warnen musste, allzu viel davon sei ungesund.
Nicht allein das Feuer, auch die Gemeinschaft von Mensch und Tier im Raum sorgten dafür, dass der lange, niedrige Raum sich bald erwärmte. Die Tür und die Läden vor den Fenstern waren geschlossen, um die Nachtkälte draußen zu halten. Trotz des schlechten Wetters und obwohl sich bestimmt kein anderer Reisender in diese abgelegene Gegend verirrte, war Nik auf Sicherheit bedacht. Das war bei einem Mann seines Gewerbes auch nur gutzuheißen. Während des Essens hatte ich zum ersten Mal Gelegenheit gehabt, mir meine Reisegefährten genauer anzusehen. Krähe nicht eingerechnet sah ich fünfzehn Pilger unterschiedlichen Alters und beiderlei Geschlechts vor mir. Dazu kamen ungefähr zwölf Schmuggler, wenigstens die Hälfte davon blutsverwandt mit Nik und Pelf, die anderen ein zusammengewürfelter Haufen von gestandenen Männern, die ständig vor Gefahren auf der Hut waren. Wenigstens drei standen immer Wache. Sie redeten nur wenig und wussten jederzeit, was sie zu tun hatten, auch ohne dass Nik ihnen sagte, was sie zu tun hatten. In mir regte sich Zuversicht, dass ich tatsächlich den Fuß auf das gegenüberliegende Ufer des Flusses setzen würde und vielleicht sogar auf den Boden des Hohen Reichs. Zum ersten Mal seit langem war ich guten Mutes.
Merle zeigte sich in Gesellschaft wie dieser von ihrer besten Seite. Sobald wir mit dem Essen fertig waren, packte sie ihre Harfe aus, und trotz seiner wiederholten Mahnungen, jeden Lärm zu vermeiden und leise zu sprechen, erhob Nik keine Einwände, als sie behutsam in die Saiten griff. Zur Freude der Schmuggler stimmte sie die alte Ballade von Trumm dem Wegelagerer an, vermutlich der verwegenste Räuber, den es je im Herzogtum Bock gegeben hatte. Selbst Nik musste schmunzeln, und Merle zwinkerte ihm vielsagend zu, während sie sang. Für die Pilger sang sie von einer gewundenen Straße, die Reisende aus der Fremde in die Heimat führte, und sie endete mit einem Wiegenlied für die drei Kinder in unserer Mitte; doch nicht nur die Jüngsten hatten sich mittlerweile auf ihren Nachtlagern
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