Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
letzten Vers lauschte sie der Musik mit unverändert grimmiger Miene. Nach mir kam Kettricken an die Reihe. Sie sang uns ein Jagdlied aus den Bergen vor. Der Narr erfreute uns mit einem derben Volkslied über die schöne Milchmagd und ihre Freier, und ich glaube, sein Vortrag nötigte Merle wider Willen einige Bewunderung ab. Danach war nur noch Krähe übrig, und statt sich zu entschuldigen, wie ich erwartet hatte, sang sie uns das alte Kinderlied »Sechs weise Männer sind nach Jhaampe gegangen«. Dabei fixierte sie mich mit ihren Blicken, als wäre jedes Wort ausschließlich für mich bestimmt. In welcher Form sie mich damit auch immer zurechtweisen wollte, es blieb mir verborgen. Außerdem wusste ich nicht, was ich getan hatte, um Krähe gegen mich aufzubringen.
Wölfe singen im Chor, bemängelte Nachtauge unsere Darbietungen, gerade als Kettricken vorschlug: »Merle, spiel uns etwas, das wir alle kennen. Etwas Fröhliches.« Also spielte Merle die alte Weise von Verliebten und dem Blümlein auf der Heide, und wir alle sangen mit, einige lustiger als andere.
Als der letzte Ton verklungen war, sagte Krähe: »Der Sturm flaut ab.«
Wir lauschten; dann kroch Kettricken nach draußen. Ich folgte ihr, und wir standen eine Weile ruhig und schweigend in einer stiller gewordenen Welt. Stiller und grauer, denn die heraufziehende Abenddämmerung löschte alle Farben langsam aus. Dichter Schneefall setzte ein.
»Der Sturm hat sich ausgetobt«, erklärte Kettricken. »Morgen können wir weiterziehen.«
»Je früher, umso besser«, sagte ich. Komm zu mir, komm zu mir, tönte es noch immer in jedem Schlag meines Herzens. Irgendwo hoch oben in diesen Bergen oder dahinter befand sich Veritas...... und der Strom der Gabe.
»Ja«, stimmte mir Kettricken leise zu. »Wäre ich doch schon vor einem Jahr meiner inneren Stimme gefolgt und hätte meine Suche fortgesetzt. Aber wie sollte ich mehr Erfolg haben als er, dachte ich mir, schließlich war er gescheitert. Und ich hatte Angst, sein Kind zu gefährden. Ein Kind, das ich später dennoch verlor. So habe ich ihn in doppelter Hinsicht enttäuscht.«
»Ihn enttäuscht?«, rief ich bestürzt aus. »Weil Ihr sein Kind verloren habt?«
»Sein Kind, seine Krone, sein Königreich, seinen Vater. Was immer er mir anvertraute, alles habe ich verloren. Bei jedem Schritt auf diesem Weg, der uns zu ihm führt, und obwohl ich es nicht erwarten kann, wieder mit ihm vereint zu sein, frage ich mich doch, wie ich ihm noch in die Augen sehen kann.«
»Meine Königin, darin irrt Ihr Euch, glaubt mir. Er wird niemals denken, dass Ihr ihn enttäuscht habt. Er macht sich eher Vorwürfe, dass er Euch in der größten Not allein gelassen hat.«
»Er ist nur fortgegangen, um zu tun, was er tun musste.« Doch plötzlich schien etwas in ihr zu zerbrechen, und sie fügte in flehendem Ton hinzu: »O Fitz, wie kannst du behaupten, seine Gefühle zu kennen, wenn du mir nicht einmal sagen kannst, wo er ist!«
»Wo er ist, Majestät, das ist nur ein Wort, nur ein Punkt auf dieser Landkarte. Doch was er fühlt und was er für Euch empfindet - das atmet er, und wenn wir einander in der Gabe verbunden sind, dann weiß ich solche Dinge eben, ob ich es möchte oder nicht.« Ich erinnerte mich auch an andere, weit delikatere Gelegenheiten, bei denen ich unfreiwillig Zeuge von Veritas’ Gefühlen für seine Königin gewesen war, und dabei dankte ich der Nacht, die mein Gesicht gerade vor ihrem Blick verbarg.
»Wäre diese Gabe doch etwas, das ich lernen könnte... Weißt du eigentlich, wie oft ich zornig auf dich gewesen bin, einzig und allein, weil du hinausgreifen konntest zu ihm, zu ihm, nach dem ich mich so sehne, und weil du so mühelos einen Blick in seine Gedanken und in sein Herz werfen konntest? Eifersucht ist eine hässliche Sache, und stets habe ich mich bemüht, sie zu unterdrücken. Aber manchmal erscheint es mir himmelschreiend ungerecht, dass du auf diese Art mit ihm verbunden bist und ich nicht.«
Nie war mir der Gedanke gekommen, dass sie eifersüchtig oder neidisch auf mich sein könnte. Betroffen sagte ich: »Die Gabe ist ebenso sehr ein Fluch wie ein Segen. Zumindest hat sie mir nicht viel Gutes gebracht. Und stünde es in meiner Macht, Euch damit zu beschenken, weiß ich nicht, ob ich jemandem, der mir teuer ist, diese Bürde wirklich auferlegen möchte.«
»Um seine Nähe und seine Liebe zu spüren, Fitz, auch nur für einen Augenblick, würde ich jeden Fluch in Kauf nehmen, der damit
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