Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
einhergeht. Seine Berührung zu spüren, in welcher Form auch immer... Kannst du dir vorstellen, wie sehr ich ihn vermisse?«
»Ich glaube schon.« Ich dachte an Molly. Der Gedanke war jedoch wie eine Hand, die mir das Herz abdrückte. Für das Mittagessen harte Winterrüben schneiden. Das Messer ist stumpf. Sie wollte Burrich bitten, es zu schärfen, wenn er endlich aus dem scheußlichen Regenwetter hereinkam. Er hackte Holz, um es morgen unten im Dorf zu verkaufen. Der Mann arbeitete zu schwer. Dafür würde heute Abend sein schlimmes Bein ihn wieder schmerzen.
»Fitz? Fitz!«
Kettricken schüttelte mich, und ich kehrte mit einem Ruck in die Gegenwart zurück.
»Es tut mir leid.« Ich rieb mir die Augen und musste plötzlich lachen. »Welche Ironie. Mein ganzes Leben lang ist es mir schwergefallen, von der Gabe Gebrauch zu machen. Sie kam und ging wie der Wind in den Segeln eines Schiffes. Nun auf einmal fliegt sie mir zu, ja, sie drängt sich mir geradezu auf. Und ich habe keinen anderen Wunsch, als sie zu nutzen und hinauszudenken, zu wissen, wie es denen geht, die ich liebe. Aber Veritas verbietet es mir, und ich muss mich fügen, darauf verzichten und ihm darin vertrauen, dass er weiß, was am besten ist.«
»Das Gleiche gilt für mich«, nickte sie müde.
Wir standen noch einen Augenblick in der Dämmerung, und ich kämpfte gegen den plötzlichen Drang, ihr den Arm um die Schultern zu legen und zu sagen, alles wird gut, wir finden ihn. Für einen flüchtigen Augenblick erschien sie mir wieder wie das hochgewachsene, ranke Mädchen, das aus den Bergen heruntergekommen war, um Veritas’ Gemahlin zu sein. Doch nun war sie die Königin der Sechs Provinzen, und ich hatte erfahren, über welch bewunderungswürdige innere Stärke sie verfügte. Bestimmt brauchte sie keinen Trost von jemandem wie mir.
Wir schnitten noch etliche Portionen Fleisch von dem inzwischen halbgefrorenen Tierkadaver und kehrten dann zu unseren Gefährten in die Jurte zurück. Nachtauge schlummerte satt und zufrieden. Der Narr hatte Merles Harfe zwischen die Knie geklemmt und gab mit einem zweckentfremdeten Abhäutemesser dem Rahmen eine gefälligere Form. Merle saß neben ihm, schaute zu und gab sich alle Mühe, sich ihre besorgten Blicke nicht anmerken zu lassen. Krähe hatte einen kleinen Beutel hervorgeholt, den sie für gewöhnlich an einer Schnur um den Hals trug, und suchte eine Handvoll polierter Steine heraus, die offenbar für ein Spiel gedacht waren. Während Kettricken und ich das Feuer in dem kleinen Becken wieder in Gang brachten und Vorbereitungen trafen, das Fleisch zu braten, bemühte Krähe sich, mir die Regeln zu ihrem Spiel zu erklären. Ohne großen Erfolg. Schließlich gab sie auf und rief: »Du wirst dahinterkommen, wenn du erst ein paarmal verloren hast.«
Ich verlor öfter als nur ein paarmal in den Stunden, die wir nach dem Essen über das Spiel gebeugt saßen. Der Narr beschäftigte sich weiter und unverdrossen mit Merles Harfe, obwohl er immer wieder die Arbeit unterbrechen musste, um das Messer nachzuschärfen. Kettricken saß schweigend, fast melancholisch auf ihrem Schlafplatz, bis der Narr es bemerkte und anfing, vom Leben in Bocksburg zu erzählen, wie es früher gewesen war, in glücklicheren Tagen. Ich lauschte mit einem Ohr und fühlte mich zurückversetzt in jene Zeit, als die Roten Schiffe nur in abendlichen Schauergeschichten am Herdfeuer vorkamen und mein Leben geregelt gewesen war, wenn auch nicht glücklich. Irgendwann kam die Rede auf die verschiedenen fahrenden Musikanten, die in Bocksburg aufgespielt hatten, berühmte und weniger berühmte Vaganten, und Merle bestürmte ihn sogleich mit tausend Fragen über sie.
Ich selbst erlag bald der Faszination des Spiels, in dessen Regeln Krähe mich einführte. Es wirkte seltsam beruhigend auf mich. Die Steine waren rot, schwarz und weiß, glattpoliert und lagen angenehm in der Hand. Jeder Spieler nahm blind Steine aus dem Beutel und setzte sie nach Gutdünken auf die Kreuzungspunkte von Linien auf einem gemusterten Tuch. Es war ein gleichzeitig simples und unglaublich kompliziertes Spiel. Jedes Mal, wenn ich eine Partie gewonnen hatte, machte Krähe mich mit noch raffinierteren Strategien bekannt. Es faszinierte mich und ließ in meinem Kopf keinen mehr Raum für Erinnerungen oder Grübeleien. Als schließlich alle anderen bereits halb schlafend in ihren Decken lagen, legte Krähe die Steine zu einer Spielsituation aus und forderte mich auf, sie zu
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