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Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier

Titel: Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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studieren.
    »Mit einem Zug eines schwarzen Steins kann die Partie gewonnen werden«, erklärte sie. »Aber die Lösung ist nicht leicht zu erkennen.«
    Ich betrachtete die Anordnung der Steine und schüttelte den Kopf. »Wie lange hast du gebraucht, um das Spiel zu lernen?«
    Sie lächelte in sich hinein. »Als Kind hatte ich eine schnelle Auffassungsgabe. Doch ich muss zugeben, du übertriffst mich.«
    »Ich dachte, dieses Spiel käme aus irgendeinem fernen Land.«
    »Nein, es ist ein altes Spiel aus Bock.«
    »Ich habe es noch nie gesehen und nie davon gehört.«
    »In meiner Jugend war es durchaus gebräuchlich, wenn auch nicht jeder es lernen durfte. Aber das ist jetzt unwichtig. Präge dir die Anordnung der Steine ein, und morgen früh sagst du mir die Lösung.«
    Die Schulung, die Chade meinem Gedächtnis hatte angedeihen lassen, kam mir jetzt sehr zugute. Vor dem Einschlafen ließ ich vor meinem inneren Auge den Spielplan entstehen und gab mir einen schwarzen Stein, um zu gewinnen. Es gab eine ziemliche Auswahl an möglichen Zügen, da Schwarz auch Rot von seinem Platz verdrängen konnte, und Rot hatte ein ähnliches Vorrecht gegenüber Weiß. Mit geschlossenen Augen exerzierte ich etliche Variationen durch, bis ich endlich einschlief. Meine Träume handelten jetzt nur noch von dem Spiel. Das ließ mich zwar recht gut schlafen, doch am Morgen wusste ich noch immer keine Lösung für die Aufgabe, die Krähe mir gestellt hatte.
    Ich wachte als Erster auf, kroch aus dem Zelt und holte einen Topf voll mit frisch gefallenem Schnee, um ihn für den Morgentee zu schmelzen. Draußen war es erheblich wärmer als während der letzten Tage, so dass ich mich fragte, ob im Tiefland vielleicht schon der Frühling einzog. Bevor meine Gedanken sich allerdings selbstständig machen konnten, beschäftigte ich mich wieder mit dem Spiel. Nachtauge kam zu dem Platz, wo ich saß, und legte mir den Kopf auf die Schulter.
    Ich bin es leid, von Steinen zu träumen. Mach die Augen auf und betrachte das Ganze, kleiner Bruder. Es sind nicht einzelne Jäger, wie du es siehst, es ist ein jagendes Rudel. Sieh. Der da. Setze dort den schwarzen Stein hin und nimm den roten nicht, um einen weißen zu verdrängen, sondern schließe damit die Falle - dort nämlich. Das ist alles.
    Als Krähe aufwachte, staunte ich noch immer über die geniale Einfachheit von Nachtauges Lösung. Mit einem hinterhältigen Lächeln fragte sie mich, ob ich die Lösung gefunden hätte. Wortlos nahm ich einen schwarzen Stein aus dem Beutel und führte die Züge aus, die der Wolf vorgeschlagen hatte. Krähe blieb vor Überraschung der Mund offenstehen, dann schaute sie respektvoll zu mir auf. »Noch keiner ist bisher so schnell auf die Lösung gekommen«, sagte sie.
    »Ich hatte Hilfe«, gestand ich verlegen. »Das Lob gebührt dem Wolf, nicht mir.«
    Krähe machte große Augen. »Du treibst deinen Scherz mit einer alten Frau«, tadelte sie mich vorsichtig.
    »Nein, keineswegs«, beeilte ich mich zu versichern. Ich hatte ihre Gefühle verletzt. »Ich habe mir fast die ganze Nacht den Kopf darüber zerbrochen. Ich glaube, ich habe sogar von taktischen Spielzügen geträumt. Doch als ich aufwachte, war es Nachtauge, der die Lösung hatte.«
    Sie blieb eine Weile stumm. »Ich dachte, Nachtauge wäre nur ein... besonders kluges Tier. Eins, das deine Anweisungen versteht, ohne dass du sie aussprechen musst. Willst du mir weismachen, dass er versteht, was ich sage?«
    Uns gegenüber hatte Merle sich auf einen Ellbogen aufgestützt und lauschte unserem Gespräch. Ich suchte nach Ausflüchten, dann aber beschloss ich, endlich ein Ende zu machen mit den Lügen und Verstellungen. »Wir sind durch die Alte Macht verschwistert. Was ich höre und verstehe, versteht er auch. Was ihn interessiert, das lernt er. Ich behaupte nicht, er könnte einen Text lesen oder ein Lied auswendig lernen, doch wenn ein Problem ihn fesselt, denkt er auf seine Weise darüber nach. Wie ein Wolf, meistens, aber manchmal auch, wie soll ich sagen - abstrakt...« Ich rang darum, in Worte zu fassen, was ich selbst nicht ganz verstand. »Er sah das Spiel als ein Rudel von Wölfen, die ein Wild vor sich hertreiben, nicht als schwarze und weiße und rote Spielsteine. Und er sah, wohin er sich innerhalb dieses Rudels bewegen musste, um das Wild nicht entkommen zu lassen. Ich glaube, umgekehrt sehe auch ich die Dinge manchmal, wie sie sich für ihn darstellen und wie sie ein Wolf sieht. Das ist nicht falsch

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