Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
sich Erde mit dem Blut und Erbrochenen zu einer grotesken Maske. Nein, ich hatte mir geschworen, mich auf nichts mehr einzulassen. Nicht hinschauen, einfach vorbeigehen.
Hilf ihm. So übersetzte mein Verstand den plötzlich drängenden Appell in meinem Kopf.
Ich blieb stehen, als wäre ich gegen eine Wand gelaufen und griff mir benommen an die Stirn. Diese Aufforderung kam nicht von Nachtauge. Der Betrunkene stützte derweil die flache Hand auf den Boden und stemmte den Oberkörper in die Höhe. Seine Augen begegneten den meinen mit einem Ausdruck stummen Flehens und Leidens. Ich kannte solche Augen, es waren die eines gequälten Tieres.
Sollten wir ihm vielleicht helfen?, fragte Nachtauge unschlüssig.
Still, warnte ich.
Bitte hilf ihm. Das kam nun drängender und stärker. Altes Blut spricht zu Altem Blut. Die Stimme in meinem Kopf vermittelte mir nicht Worte, sondern Bilder. Ich spürte ihre Bedeutung. Es war eine Stammesbeschwörung.
Gehören sie zum Rudel?, fragte Nachtauge verwundert. Ich wusste, er konnte meine Verwirrung wahrnehmen, und gab ihm trotzdem keine Antwort.
Dem Schwarzen Rolf war es inzwischen unter Mühen gelungen, sich hinzuknien. Er streckte mir die Hand entgegen. Ich umfasste seinen Unterarm und zog ihn langsam vom Boden hoch, bis er, wenn auch schwankend, aufrecht zu stehen kam. Vorsorglich griff ich nach seinem Arm und half ihm, das Gleichgewicht wiederzugewinnen. Während wir uns schweigend ansahen, reichte ich ihm meinen Wanderstab. Er nahm ihn, doch ich musste ihn trotzdem weiterhin stützen. Langsam verließen wir den Marktplatz, gefolgt von viel zu vielen neugierigen Blicken. Auch in den Gassen schauten die Leute uns an, um dann gleich zur Seite zu blicken. Der Mann schwieg ausdauernd. Ich wartete darauf, dass er mir die Richtung vorgab, aber er sagte nichts. Vom Ortsrand aus führte der Weg in vielen Windungen zum Fluss hinunter. Durch eine Öffnung in den Baumwipfeln fiel Sonnenlicht herein und brach sich glitzernd auf der Wasseroberfläche. Am Ufer gab es eine seichte Stelle mit grasbewachsenem Ufer und eingerahmt von Weiden. Einige Frauen mit Körben voll nasser Wäsche machten sich gerade auf den Heimweg. Durch ein leichtes Ziehen am Arm bedeutete der Schwarze Rolf mir, dass er zum Ufer wollte. Dort angekommen, sank er auf die Knie, dann beugte er sich vor und tauchte seinen Kopf bis zu den Schultern ins Wasser. Er richtete sich auf und rieb sich mit den Händen über das Gesicht und tauchte noch einmal unter. Als er das zweite Mal hochkam, schüttelte er seinen Kopf wie ein nasser Hund. Wassertropfen spritzten in alle Richtungen. Er ging in die Hocke und blickte zu mir auf.
»Wenn ich schon einmal in die Stadt komme, dann trinke ich gleich zuviel«, sagte er hohl.
Ich nickte nur. »Kommst du von jetzt an allein zurecht?«
Er nickte seinerseits. Ich konnte sehen, wie er mit der Zunge rings im Mund nach blutenden Stellen und losen Zähnen tastete. Die Erinnerung an meine vergangenen Schmerzen regte sich in mir und drohte wieder auszubrechen. Ich wollte so schnell wie möglich weg von diesem bedrohlichen Einfluss.
»Dann also viel Glück«, wünschte ich zum Abschied. Weiter weg von ihm kniete ich mich hin, trank ein wenig und füllte meinen Wasserschlauch. Erfrischt stand ich auf, warf mir mein Bündel über die Schulter und wandte mich ab zum Gehen, doch ein Prickeln der Alten Macht bewegte mich dazu, den Kopf zu drehen und zum Waldrand zu schauen. Dort geriet ein Baumstumpf in Bewegung, wuchs in die Höhe und entpuppte sich schließlich als ein Braunbär. Er witterte prüfend, dann ließ er sich auf alle viere fallen und kam auf uns zugetrabt. »Rolf«, sagte ich ruhig, während ich langsam rückwärts ging, »Rolf, da kommt ein Bär.«
»Das ist Hilda«, antwortete er ebenso ruhig. »Du hast nichts zu befürchten. Sie gehört zu mir.«
Ich stand stockstill da und sah der Bärin entgegen. Als sie sich Rolf näherte, gab sie einen tiefen Kuhlaut von sich und stieß ihn mit ihrem mächtigen Schädel an. Er stand auf, wobei er sich an ihrer Schulter festhielt. Ich konnte spüren, dass sie zueinander dachten, aber was sie sich mitzuteilen hatten, blieb mir verborgen. Schließlich hob sie den Kopf, um mich zu mustern. Altes Blut, begrüßte sie mich. Ihre kleinen Augen saßen dicht über der Schnauze tief im Fell verborgen. Wenn sie sich bewegte, brachten Licht und Schatten das Wogen der gewaltigen Muskeln unter ihrem schimmernden Pelz zum Vorschein. Sie kamen beide näher
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