Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
auf mich zu. Ich rührte mich nicht.
Dann, inzwischen dicht bei mir, reckte Hilda die Schnauze nach vorne und drückte ihre Nase an mich, um mich von oben bis unten zu beschnüffeln.
Mein Bruder?, erkundigte Nachtauge sich beunruhigt.
Ich glaube, es besteht kein Grund zur Sorge. Ich wagte kaum zu atmen. Noch nie war ich einem lebenden Bären so nahe gewesen.
Ihr Kopf war so groß wie ein großer Weidenkorb, und ihr heißer Atem, der über meine Brust strich, stank nach Fisch. Als sie endlich mit mir fertig war, trat sie zurück und stieß dumpfe, schnaubende Laute aus, so als ob sie zu ergründen versuchte, was sie an mir gewittert hatte. Auf dem Hinterteil sitzend, sog sie die Luft durch das offene Maul, wie um meinen Geruch zu schmecken, dann wiegte sie behäbig den Schädel von einer Seite zur anderen und schien zu einem Entschluss zu gelangen. Sie ließ sich wieder auf alle viere fallen und trollte sich langsam davon. »Komm«, sagte Rolf kurz und forderte mich mit einem Wink auf, ihm zu folgen. Das Ziel schien der Wald zu sein. Über die Schulter fügte er hinzu: »Du kannst mit uns das Mahl teilen. Der Wolf ist ebenfalls willkommen.«
Nach kurzem Zögern folgte ich ihm.
Ist das klug? Mein Gespür sagte mir, dass Nachtauge nicht mehr weit entfernt war und mich bald einholen würde.
Ich muss herausfinden, was es mit ihnen auf sich hat. Sind sie wie wir? Ich habe noch nie mit welchen gesprochen, die von unserer Art sind.
Daraufhin folgte von Nachtauge ein geringschätziges Schnaufen. Du bist von Rudelherz aufgezogen worden. Er ist uns ähnlicher als diese dort. Ich bin mir nicht sicher, ob ich in der Nähe eines Bären sein möchte oder eines Mannes, der mit dem Bären denkt.
Ich will mehr wissen, beharrte ich. Wie hat seine Bärin mich gespürt? Wie hat sie meine Sinne erfasst? Trotz meiner Neugier hielt ich deutlichen Abstand zu dem seltsamen Paar. Mann und Bär suchten sich einen Weg durch den Weidensaum am Flussufer, bis zu einer Stelle, wo man nach Überquerung der Straße sogleich in den Wald auf der anderen Seite eintauchen konnte. Im tiefen Schatten der hohen Bäume stießen wir bald auf einen Wildwechsel, der auf einen flachen Hügel hinaufführte. Ich spürte Nachtauges Gegenwart noch bevor er neben mir auftauchte. Er hechelte von dem langen Lauf. Es tat mir in der Seele weh, ihn auf drei Beinen hinken zu sehen. Zu oft war er schon meinetwegen in Gefahr geraten. Welches Recht hatte ich, ihm das abzuverlangen?
So schlimm ist es auch wieder nicht.
Er lief nicht gerne hinter mir, aber der Wildwechsel war zu schmal für uns beide. Ich überließ ihm den gebahnten Pfad und ging nebenher, wich Zweigen und Stämmen aus und behielt unsere Führer im Auge. Keinem von uns war die Bärin ganz geheuer. Ein Schlag ihrer Tatze hatte eine verheerende bis tödliche Wirkung, und Bären waren allgemein als launisch und unberechenbar verschrien. Nachtauge trabte mit gesträubtem Nackenfell in der Fahne ihrer Witterung, und auch mir kribbelte es auf der Haut.
Nach einer Weile gelangten wir zu einer kleinen, an die Hügelflanke gebauten Hütte aus Steinen und Balken. Zum Abdichten der Fugen hatte man Erde und Moos verwendet. Das Dach aus Stämmen war mit Grassoden gedeckt; es wuchsen sogar richtiges Gras und kleine Sträucher darauf. Die Tür war ungewöhnlich breit und stand weit offen. Beide, Mann und Bär, verschwanden in der Hütte; ich überwand mein Unbehagen, wagte mich näher heran und warf einen Blick ins Innere. Nachtauge hielt sich mit gesträubtem Fell und gespitzen Ohren im Hintergrund.
Rolf der Schwarze steckte den Kopf aus der Tür, um nach uns zu sehen. »Tretet ein und seid willkommen«, sagte er, und als wir uns offenbar nicht entschließen konnten, fügte er hinzu: »Altes Blut wendet sich nicht gegen Altes Blut.«
Mit zögernden Schritten folgte ich der Einladung. In der Mitte des Raums stand ein niedriger Steintisch mit jeweils einer Bank an jeder Längsseite. In einer Ecke gab es einen gemauerten Kamin, flankiert von zwei großen, bequem aussehenden Armstühlen. Eine Tür führte in einen kleinen Nebenraum, der vermutlich das Schlafzimmer war. In der Hütte roch es wie in einer Bärenhöhle, nach Tier, feuchtem Stein und Erde. Und da war eine Frau, die gerade den Besen wegstellte, nachdem sie den Lehmboden gefegt hatte. Sie trug braune Kleider, und ihr kurzes braunes Haar lag eng am Kopf wie eine Kappe. Sie wandte mir unvermittelt das Gesicht zu und betrachtete mich mit einem langen,
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