Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
Nebelschwaden tönte. Ich sah, wie Jharck, der Maat, mit dem Kapitän einen Blick wechselte. »Legt euch in die Riemen!«, knurrte er plötzlich. »Ein Rotes Schiff greift unseren Wachturm an!«
Noch ein paar Ruderschläge, und der Brandgeruch war genauso deutlich wahrnehmbar wie der Kriegslärm. Eine plötzliche Kraft durchströmte mich, und den anderen schien es ebenso zu ergehen; links und rechts von mir harte Gesichter, Muskeln, die sich wölbten und spannten, während wir mit aller Kraft ruderten - selbst unser Schweiß hatte einen anderen Geruch. Ich fühlte die heiße Wut, die sich wie ein wildes Feuer ausbreitete. Es war etwas Animalisches, jenseits aller Vernunft, das uns mit Hass überflutete.
Wir peitschten die Rurisk vorwärts und hinein ins seichte Wasser der Bucht. Sobald der Kiel über den Grund scharrte, sprangen wir hinaus und zogen sie ans Ufer hinauf, wie wir es geübt hatten. Der Nebel war ein trügerischer Verbündeter, der uns vor den Angreifern verbarg, so dass wir hoffen konnten, ihnen unbemerkt in den Rücken zu fallen. Doch der Nebel verbarg uns gleichzeitig die Einsicht auf die Geländeverhältnisse und den genauen Stand der Dinge. Wir griffen nach den Waffen und hasteten dorthin, wo wir die Türme vermuteten. Justin blieb an Bord und starte mit pathetischem Ernst in Richtung Bocksburg, als würde es dadurch leichter, Serene die Nachricht von den Ereignissen zu übermitteln.
Das Rote Schiff war auf den Strand gezogen, genau wie die Rurisk. Nicht weit davon lagen die zwei kleinen Boote, die als Fähren zum Festland dienten. Beide waren leckgeschlagen worden. Einige der Soldaten, alles unsere Landsleute, waren am Ufer gewesen, als der Korsar aus dem Nebel aufgetaucht war. Wie es aussah, war den meisten von ihnen die Flucht nicht mehr gelungen; wir liefen an zusammengekrümmten Körpern vorbei, die ihr Leben im blutdurstigen Sand ausgehaucht hatten. Unvermittelt ragte grau der Turm der Geweihinsel vor uns auf. An seiner Spitze leuchtete das brennende Signalfeuer wie ein verwaschener gelber Fleck in den Nebel. Hier trafen wir auf die Korsaren. Es waren dunkle, muskulöse Männer, eher drahtig als massiv, bärtig, und das Haar hing ihnen schwarz und wild auf die Schultern herab. Sie trugen Rüstungen aus geflochtenem Leder, und an Waffen hatten sie große Schwerter und Äxte. Manche trugen Helme. Ihre bloßen Arme waren mit roten Spiralen bemalt oder tätowiert. Sie schienen nicht an ihrem leichten Sieg zu zweifeln, lachten laut und brüllten untereinander daher wie Handwerker, die eine Arbeit zu Ende brachten. So schenkten sie uns zunächst auch keine weitere Beachtung, als wir den Hang hinaufgestürmt kamen. Dass hinter ihnen ein Feind auftauchen könnte, damit rechneten sie nicht.
Die Besatzung des Turms befand sich in einer aussichtslosen Lage, das Bauwerk hatte man als Basis für ein Signalfeuer angelegt und nicht als eine Festungsanlage. Es war abzusehen, wann der Letzte von ihnen sein Leben aushauchen würde. Ein Torflügel hing schief in den Angeln, die Verteidiger hatten sich hinter einem Wall toter Leiber verschanzt. Als wir uns näherten, sandten sie den Korsaren einen spärlichen Regen aus Pfeilen entgegen. Keiner traf.
In dem Schrei, den ich ausstieß, mischten sich Todesangst und überschwänglicher Rachedurst. Die Gefühle derer, die links und rechts neben mir liefen, fanden ein Ventil in mir und spornten mich an. Jetzt erst wurden die Angreifer auf uns aufmerksam und drehten sich um.
Wir hatten die Korsaren in der Zange. Wir von der Rurisk waren ihnen zahlenmäßig überlegen, und als dann auch die Verteidiger des Turms uns erkannten, versuchten sie von neuem Mut erfüllt einen beherzten Ausfall. Nicht den ersten - die vor dem Tor verstreuten Leichen sprachen eine deutliche Sprache. Der junge Wachposten lag immer noch da, wo ich ihn in meiner Vision hatte hinfallen sehen. Blut war aus seinem Mund gelaufen und in seinem bestickten Hemd versickert. Ein von hinten geworfener Dolch hatte ihn durchbohrt. Seltsam, wie deutlich sich mir dieses Bild in dem kurzen Augenblick einprägte, bevor die Wogen des Kampfes über mir zusammenschlugen.
Es gab in dieser erbarmungslosen Schlacht keine Strategie, keine Angriffsordnung und keinen Plan. Nur eine Gruppe von Männern und Frauen, denen sich plötzlich die Gelegenheit bot, Vergeltung zu üben. Mehr brauchte es nicht.
Wenn ich vorher geglaubt hatte, eins mit meinen Gefährten zu sein, ging ich jetzt in ihnen auf. Wilde Gefühle
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