Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
Orientierungspunkte.
Der ewig gleiche Bewegungsablauf, das Fehlen von irgendetwas, an dem das Auge sich festhalten konnte, versetzten mich in einen tranceähnlichen Zustand. Bis der Schrei des jungen Wachpostens mich urplötzlich in die Wirklichkeit zurückholte. »Zu den Waffen!«, rief er, und dann erstickte schon sprudelndes Blut seine helle Stimme. »Der Feind ist da!«
Ich sprang von meiner Ruderbank auf und schaute mich hektisch nach allen Seiten um. Aber da war nach wie vor nur Nebel. Und mein schleifendes Ruder, das über die Wasseroberfläche hüpfte, während meine Kameraden mir böse Blicke zuwarfen, weil ich sie aus dem Rhythmus gebracht hatte. »Du, Fitz! Was ist in dich gefahren?«, fragte der Kapitän. Justin stand mit glatter Stirn neben ihm und war die personifizierte Selbstgefälligkeit.
»Ich … ich habe einen Krampf im Rücken. Tut mir leid.« Ich bückte mich nach meinem Ruder.
»Kelpy, du löst ihn ab. Geh ein paar Schritte auf und ab und streck dich, Junge, dann setzt du dich wieder an deinen Platz«, befahl der Maat mit seinem breiten Akzent.
Gehorsam trat ich zur Seite, um Kelpy vorbeizulassen. Es tat gut, die Muskeln lockern zu können. Meine Schultern knackten, als ich sie vor- und zurückrollte. Andererseits schämte ich mich, eine Ruhepause zu haben und die anderen nicht. Ich rieb mir die Augen und schüttelte den Kopf, um den letzten Rest dieses merkwürdigen Alptraums loszuwerden. Was für ein Wachposten? Wo?
Die Geweihinsel. Der Signalturm. Sie sind unter dem Schutz des Nebels gekommen. Ich vermute, sie wollen die Wächter erschlagen, um dann die Türme zu zerstören. Eine kluge Strategie. Die Geweihinsel ist Teil unserer vordersten Verteidigungslinie. Mit dem äußeren Turm blicken wir über das Meer, mit dem inneren geben wir die Signale nach Bocksburg und nach Guthaven weiter. Veritas’ Gedanken, nüchtern wie die eines Feldherrn. Nach einer kurzen Pause: Der hirnlose Idiot ist so erpicht darauf, mit Carrod Verbindung aufzunehmen, dass er mich nicht wahrnimmt. Fitz - geh zum Kapitän. Sag ihm, die Geweihinsel. Wenn ihr in den Kanal gelangt, trägt euch die Strömung wie im Flug zu der Bucht, wo die Türme liegen. Die Korsaren sind bereits dort, aber sie müssen gegen die Strömung ankämpfen, wenn sie wieder aufs offene Meer hinauswollen. Wenn ihr keine Zeit verliert, könnt ihr sie noch am Ufer abfangen. Aber ihr müsst sofort handeln. SOFORT.
Befehle geben ist leichter, als sie auszuführen, dachte ich und setzte mich in Bewegung. »Herr?«, sprach ich den Kapitän an und wartete, bis er geruhte, mich zur Kenntnis zu nehmen, während der Maat mich finster anschaute, weil ich ihn übergangen hatte.
»Ja?«, fragte der Kapitän schließlich.
»Die Geweihinsel. Wenn wir jetzt da rauf zuhalten und die Strömung ausnutzen, bringt sie uns im Flug zu der Bucht, wo die Türme sind.«
»Das stimmt. Dann vermagst du ebenfalls die Strömungen zu lesen? Eine nützliche Fähigkeit. Ich dachte, ich wäre der Einzige an Bord, der eine Ahnung davon hat, wo wir uns befinden.«
»Nein, Herr.« Ich holte tief Atem. »Wir müssen Kurs auf die Geweihinsel nehmen. Sofort!«
Bei dem »Sofort« zogen sich seine Brauen zusammen.
»Was soll dieser Unfug!«, mischte Justin sich ungehalten ein.
»Versuchst du, mich als Dummkopf hinzustellen? Du hast gespürt, dass wir uns dem Treffpunkt nähern, nicht wahr? Wes halb willst du, dass ich versage? Damit du nicht mehr allein als Versager dastehst?«
Ich hätte ihm liebend gern den Hals umgedreht, aber ich musste Veritas’ Befehl durchsetzen. »Eine geheime Weisung des Kronprinzen, Herr. Die ich zu diesem Zeitpunkt an Euch weitergeben sollte.« Meine Worte waren ausschließlich an den Kapitän gerichtet. Er entließ mich mit einem Kopfnicken. Ich kehrte zu meiner Bank zurück und nahm wieder meinen Platz am Ruder ein. Der Kapitän starrte unbewegt geradeaus in den Nebel.
»Jharck. Der Steuermann soll das Schiff umlenken und in die Strömung bringen. Tiefer hinein in den Kanal.«
Der Maat nickte steif, und innerhalb weniger Augenblicke hatten wir den Kurs geändert. Unser Segel schlug am Mast, und tatsächlich, wie Veritas gesagt hatte, von der Strömung unterstützt, schienen wir Flügel zu bekommen. Im Nebel verliert man jedes Zeitgefühl. Ich weiß nicht, wie lange ich ruderte, doch bald flüsterte Nachtauge etwas von Rauch in der Luft, und gleichzeitig vernahmen wir das Geschrei von Kämpfenden, das hohl und gespenstisch durch die grauen
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