Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
gesundem Menschenverstand. Als wären sie und ich und ein Kind, das es noch gar nicht gab, wichtiger als der König und die Sechs Provinzen zusammengenommen. Ich sagte ihr, was ich dachte.
»Nun«, sie schaute mich fest an, »genauso stellt es sich für mich aber dar. Wenn du mein Mann wärst und ich unser Kind hätte, dann könnte nichts auf der Welt wichtiger sein als meine Familie.«
Was sollte man darauf sagen? Ich entschied mich für die reine Wahrheit, auch wenn ich wusste, dass ihr diese nicht gefallen würde. »Auch du wärst mir so wichtig. Du bist mir so wichtig. Aber das ist mit ein Grund, weshalb ich hierbleiben muss. Etwas so Wichtiges nimmt man nicht und läuft damit weg und versteckt sich, sondern man bleibt da und verteidigt es.«
»Verteidigen?« Ihre Stimme wurde einen Ton höher. »Wann wirst du begreifen, dass wir nicht stark genug sind, um uns zu verteidigen? Ich habe es erfahren. Ich habe zwischen Korsaren und Kindern meines eigenen Blutes gestanden und bin nur durch Glück mit dem Leben davongekommen. Erst wenn du das erlebt hast, sprich zu mir von verteidigen!«
Ich schwieg. Nicht nur, weil ihre Worte mich verletzten. Sie verletzten mich tief, aber sie weckten auch meine Erinnerung an das tote Kind in meinen Armen, und wie ich auf das Blut an den leblosen Händchen des kleinen Mädchens starrte. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, so etwas je wieder erleben zu müssen. Aber was half es, die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen. »Davor gibt es kein Davonrennen, Molly. Entweder harren wir aus und stellen uns dem Feind, oder wir werden auf der Flucht von der Woge der Gewalt eingeholt.«
»Glaubst du?«, fragte sie kalt. »Ist es nicht viel mehr so, dass du die Treue zu deinem König über das stellst, was uns beide verbindet?« Ich wagte nicht, ihr in die Augen zu sehen. Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. »Du bist genau wie Burrich. Du weißt nicht einmal, wie ähnlich du ihm bist!«
»Wie Burrich?« Es war ihr gelungen, mich völlig zu verwirren. Wie sie überhaupt auf Burrich kam, war mir ein Rätsel, und weshalb sagte sie es in einem Ton, als wäre es ein Makel.
»Ja.« Sie wiederholte es mit Nachdruck.
»Weil ich meinem König ergeben bin?« In meiner Verzweiflung griff ich weiter nach einem letzten Strohhalm.
»Nein! Weil dir dein König wichtiger ist als deine Liebe. Oder dein eigenes Leben.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest!«
»Da! Siehst du! Du hast wirklich keine Ahnung. Und du läufst herum und tust, als wüsstest du Bescheid über all diese großen Dinge und Geheimnisse und alles Wichtige, was je passiert ist. Bitte, dann beantworte mir diese eine Frage: Weshalb hasst Philia Burrich?«
Nun verstand ich gar nichts mehr. Was hatte das mit mir zu tun und mit meinen Fehlern? Doch ich wusste, Molly würde gleich den Zusammenhang herstellen. Vorsichtig äußerte ich meine von jeher gehegte Vermutung: »Sie gibt ihm die Schuld an meiner Existenz. Sie glaubt, Burrich hätte Chivalric auf einen schlechten Weg geführt … und so wäre es dazu gekommen, dass er mich zeugte.«
»Aha, da sieht man, wie ahnungslos du bist. Es ist ganz anders. Lacey hat mir eines Abends die Geschichte anvertraut. Etwas zu viel Holunderbeerwein, und ich erzählte ihr von dir und sie von Burrich und Philia. Am Anfang liebte Philia Burrich, du Dummkopf. Doch er wies sie zurück. Er sagte, er liebe sie auch, könne sie aber nicht heiraten, selbst wenn ihr Vater ihr die Erlaubnis gäbe, sich unter ihrem Stand zu vermählen, denn er hätte bereits einem Fürsten Treue geschworen, und ihm und ihr gleichzeitig zu dienen wäre unmöglich. Oh, er beteuerte, er wünschte, er wäre frei und dass er diesen Eid nicht geleistet hätte, bevor er sie kannte, doch nun sei es zu spät. Und er sagte noch etwas Dummes zu ihr, nämlich dass ein Pferd, und sei es noch so willig, nur einen Sattel tragen könne. Also schickte sie ihn weg, er solle diesem Herrn folgen, der ihm wichtiger sei als sie. Und er ging. Wie auch du es tun würdest, wenn du vor die Wahl gestellt wirst.« Zwei rote Flecken brannten auf ihren Wangen. Sie warf den Kopf in den Nacken und wandte mir den Rücken zu.
Da hatte ich den Zusammenhang. Mein Kopf schwirrte, als einzelne Bemerkungen, Andeutungen und Geschichten plötzlich einen Sinn Bekamen. Burrichs Geschichte von seiner ersten Begegnung mit Philia. Sie saß in einem Apfelbaum und verlangte von ihm, ihr einen Splitter aus dem Fuß zu ziehen. Keine Bitte, die ein Edelfräulein
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