Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
zur Rechten Kettrickens, und wieder glaubte ich nicht, dass ihr bewusst war, wie sehr sie ihn damit auszeichnete.
Nachdem sich bei Speise und Trank und Geplauder die Stimmung etwas gelockert hatte, bedeutete sie Samten, leiser zu spielen, und wandte sich an Brawndy. »Wir haben nur sehr spärliche Nachrichten von Eurem Unglück erhalten. Wollt Ihr Uns nicht genau berichten, was in Holüber geschehen ist?«
Der Herzog zögerte. Er hatte seine Sache dem König vortragen wollen, doch wie konnte er sich dem Wunsch seiner Kronprinzessin widersetzen, die ihn so zu ehren wusste? Als er zu sprechen begann, war seine Stimme heiser vor innerer Erregung. »Hoheit, wir haben großes Leid erfahren«, begann er. Rund um den Tisch verstummten die Gespräche, alle Blicke richteten sich auf ihn. Ich stellte fest, dass auch die von der Königin ausgewählten Gäste aufmerksame Zuhörer waren. Während seines Berichts war kein Laut zu hören bis auf leise Ausrufe des Mitgefühls oder zorniges Raunen über die Untaten der Korsaren. Einmal ließ er eine längere Pause eintreten, und man sah ihm an, wie er mit sich kämpfte, aber dann fuhr er fort und erzählte, wie sie ihre Hilferufe ausgesandt und vergeblich auf Antwort gewartet hätten. Die Königin hörte zu, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Als er mit seiner fürchterlichen Geschichte von Blut und Tod zu Ende war, schien ihm leichter ums Herz geworden zu sein, allein weil er sich alles von der Seele hatte reden können. Für eine geraume Weile herrschte allgemeines Schweigen.
»Vieles von dem, was Ihr Berichtet habt, höre ich jetzt zum ersten Mal«, bemerkte Kettricken schließlich. »Und nichts davon ist gut. Ich weiß nicht, was unser König dazu sagen wird; Ihr müsst warten, bis er Euch empfängt und selbst zu Euch spricht. Doch was mich angeht, sollt Ihr wissen, dass das Unglück meines Volkes mich mit Gram erfüllt. Und mit Zorn. Ich versichere Euch, dass, soweit es in meiner Macht steht, diese Gräuel nicht ungesühnt bleiben werden. Noch werde ich mein Volk schutzlos den Unbilden des Winters ausliefern.«
Herzog Brawndy von Bearns senkte den Blick auf den Teller und spielte mit dem Saum des Tischtuchs. Als er wieder aufschaute, waren seine Züge hart, aber seine Augen drücken neben Verbitterung auch Bedauern aus. »Worte. Das sind nur Worte, Hoheit. Die Menschen in Holüber werden von Worten nicht satt und finden nachts auch keine Zuflucht darunter.«
Kettricken hielt seinem Blick stand, und unmerklich hob sie das Kinn etwas höher. »Es ist wahr, was Ihr sagt. Doch Worte und guter Wille sind alles, was ich Euch vorläufig anzubieten habe. Sobald es dem König besser geht und er Euch zu sich lässt, werden wir sehen, was für Holüber getan werden kann.«
Brawndy beugte sich zu ihr, um leiser sprechen zu können. »Ich habe Fragen, Hoheit. Mein Bedürfnis nach Antworten ist fast so groß wie mein Bedürfnis nach Geld und Männern. Weshalb ist unser Hilferuf ungehört verhallt? Weshalb hat das Schiff, das unserem Schutz dienen sollte, statt uns Beistand zu leisten, Kurs auf den Heimathafen genommen?«
Ein leichtes Beben in Kettrickens Stimme verriet, wie es in ihr aussah. »Auf diese Fragen habe ich keine Antworten, Herzog, so sehr es mich beschämt, dies zugeben zu müssen. Kein Wort von Eurer Bedrängnis ist mir zu Ohren gekommen, bis Euer junger Bote hier eintraf.«
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. War es richtig, dass die Königin Brawndy gegenüber mit solcher Offenheit sprach? Unter dem Aspekt politischen Kalküls sicher nicht. Doch Kettricken, das wusste ich, stellte die Wahrheit über politisches Kalkül. Brawndy schaute lange in ihr Gesicht, die Falten um seinen Mund vertieften sich. Halblaut fragte er: »Seid Ihr nicht die Kronprinzessin?«
Kettricken erwiderte mit schwertgrauen Augen seinen Blick. »Das bin ich. Fragt Ihr mich, ob ich Euch belogen habe?«
Brawndy schlug beschämt die Augen nieder. »Nein. Nein, Hoheit, der Gedanke ist mir nie gekommen.«
Das darauffolgende Schweigen dauerte unbehaglich lange. Ich weiß nicht, ob es auf ein verstohlenes Zeichen Kettrickens hin geschah oder ob es Samtens eigener Instinkt war, der ihn dazu veranlasste, kräftig in die Saiten zu greifen. Er stimmte ein Winterlied an, das mit stürmischen Akkorden und einem schrillen Refrain beeindruckte.
Erst nach mehr als drei Tagen wurde Brawndy endlich in des Königs Gemächer gerufen. Kettricken bemühte sich weiter, die Gäste zu zerstreuen,
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