Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
immer ich einen Blick in die große Halle warf, sah ich Herzog Brawndy ruhelos auf und ab gehen oder mit versteinerter Miene vor einem der Kamine in die lodernden Flammen starren. Seine Töchter flankierten ihn wie wachsame Schneekatzen. Zelerita und Fidea waren noch jung. An ihren Gesichtern ließen sich die Ungeduld und Verärgerung ablesen, die ihr Vater hinter seinem fast ausdruckslosen Gesicht verbarg. Brawndy hatte um eine Privataudienz beim König ersucht. Je länger man ihn warten ließ, desto größer war die Kränkung. Man leugnete damit die Wichtigkeit des Anliegens, das ihn hergeführt hatte. Es kam noch hinzu, dass die fortdauernde Anwesenheit des Herzogs in unserer Halle für sein Gefolge ein unübersehbarer Hinweis darauf war, dass der König noch nicht da ran gedacht hatte, ihn zu empfangen. Ich beobachtete, wie der Kessel langsam anfing zu sieden, und fragte mich, wer den größten Schwall abbekommen würde, wenn er schließlich überkochte.
Ich unternahm meinen vierten unauffälligen Rundgang durch die große Halle, als Kettricken erschien. Sie war einfach gekleidet, in ein langes, glattes purpurfarbenes Gewand mit einem weißen Überkleid. Das Haar fiel ihr offen auf die Schultern. Sie betrat die Halle ohne jedes Zeremoniell, gefolgt nur von Rosemarie, ihrer kleinen Zofe, und den Hofdamen Lady Modeste und Lady Hoffnungsfroh. Auch jetzt noch, nachdem sich ihr Verhältnis zu den Hofdamen gebessert hatte, erinnerte sie sich daran, dass es während ihrer ersten, einsamen Zeit in Bocksburg nur diese beiden Ladys nicht unter ihrer Würde gefunden hatten, der fremdländischen Gemahlin des Thronfolgers den gebührenden Respekt zu erweisen, weshalb sie diese häufig dadurch auszeichnete, dass sie sich von ihnen begleiten ließ. Ich glaube nicht, dass Herzog Brawndy in der schlicht gekleideten Frau, die auf ihn zukam, seine Kronprinzessin erkannte.
Sie lächelte und ergriff zum Willkommen seine Hand - was die Art der Bergbewohner war, einen Freund zu begrüßen. Ich bezweifle, dass ihr bewusst war, welche Ehre sie ihm dadurch erwies oder wie sehr diese arglose Geste dazu beitrug, seinen Groll über das lange Warten zu mindern. Ohne es zu ahnen, hatte sie da mit auch Fideas und Zeleritas Herz gewonnen. Allerdings bemerkte bestimmt niemand außer mir die Müdigkeit in ihrem Gesicht und die dunklen Ringe unter ihren Augen. Kettrickens klare Stimme trug durch die große Halle, so dass ihre Worte bis in den letzten Winkel zu verstehen waren. Was ganz ihrer Absicht entsprach.
»Ich bin im Lauf des Vormittags zweimal bei seiner Majestät gewesen und bedaure, dass er beide Male - unpässlich war. Hoffentlich habt Ihr das lange Warten nicht als allzu ermüdend empfunden. Ich weiß, Ihr wollt mit Eurem König über die Tragödie von Holüber sprechen und über die Maß nahmen, die getroffen werden müssen, um der dortigen Bevölkerung zu helfen. Doch in der Zwischenzeit, während er ruht, dachte ich, Ihr möchtet mir vielleicht bei einer kleinen Erfrischung Gesellschaft leisten.«
»Es wäre uns eine Ehre, Hoheit«, erwiderte Bearns, »meinen Töchtern und mir.« Es war ihr bereits gelungen, seinen Unmut etwas zu glätten, doch Brawndy war nicht ein Mann, der sich so ohne weiteres besänftigen ließ.
»Das freut mich.« Kettricken neigte sich zu Rosemarie hinunter und flüsterte ihr etwas zu. Die Kleine nickte eifrig und flitzte davon wie ein Kaninchen. Alle im Raum wurden aufmerksam. Im Nu war sie zurück, an der Spitze einer Prozession von Dienern. Ein Tisch wurde geholt und vor den mittleren Kamin gestellt, ein schneeweißes Tuch darübergebreitet und einer von Kettrickens Glaskugelgärten in die Mitte gesetzt. Diesen Vorbereitungen folgte der Auftritt einer langen Reihe von Küchenhelfern, die Teller, Becher, Wein, Konfekt und Herbstäpfel in einer hölzernen Schale brachten. Es grenzte an Zauberei, denn in wenigen Augenblicken war der Tisch gedeckt, die Gäste hatten ihre Plätze eingenommen, und Samten betrat mit seiner Laute singend den Saal. Kettricken winkte ihre Frauen zu sich, und als sie mich erblickte, forderte sie auch mich mit einem Kopfnicken auf, an den Tisch zu kommen.
Anschließend rief sie Leute von den Kaminen links und rechts heran und wählte sie nicht nach Adel oder Reichtum aus, sondern danach, wen sie für interessant hielt: Schäfter, den Pfeilschnitzer, mit seinen Geschichten von der Jagd zum Beispiel, und Mussel, ein freundliches Mädchen im Alter von Brawndys Töchtern. Brawndy saß
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