Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
um ihr zu sagen, sie brauche noch nicht um Veritas zu trauern. Doch ich wusste, es würde mir nicht gelingen, sie lange genug von ihren Hofdamen zu trennen, um unter vier Augen mit ihr sprechen zu können. Und angenommen, ich irrte mich? Nein. Erst wollte ich ganz sicher gehen, denn auch dann war es noch früh genug, um es ihr zu sagen.
Später erwachte ich von einem Klopfen an meiner Tür. Ich lag einen Moment still, weil ich nicht ganz sicher war, ob ich wirklich etwas gehört hatte. Ich stand auf, um die Riegel zurückzuschieben und die Tür einen Spalt zu öffnen. Der Narr stand davor. Ich weiß nicht, was mich mehr erstaunte, dass er an geklopft hatte, statt sich selbst Einlass zu verschaffen, oder die Art, wie er gekleidet war. Ich stand da und schaute ihn mit großen Augen an. Er verbeugte sich zuerst mit vornehmer Geste und schob sich dann, während er die Tür hinter sich zudrückte, an mir vorbei ins Zimmer. Nachdem er die Riegel wieder vorgeschoben hatte, stellte er sich in Positur, breitete die Arme aus und drehte sich langsam um sich selbst, damit ich ihn bewundern konnte. »Nun?«
»Du siehst gar nicht mehr aus wie du selbst«, entfuhr es mir.
»Das soll ich auch nicht.« Er zog sein Wams glatt, dann zupfte er an den Ärmeln, um die Stickerei zur Geltung zu bringen und die Schlitze, durch die sich der Stoff der Hemdsärmel bauschte. Dann schüttelte er seinen Federhut aus und setzte ihn wieder auf sein fahles Haar. Die Farben der Kleidungsstücke reichten von tiefstem Indigo bis zu hellstem Azur, und das Gesicht des Narren lugte weiß und nackt wie ein gepelltes Ei dazwischen hervor. »Narren sind nicht länger in Mode.«
Ich setzte mich langsam auf mein Bett. »Edel hat dich so ausstaffiert.«
»Aber nein. Er hat natürlich die Kleidungsstücke zur Verfügung gestellt, doch ausstaffiert habe ich mich selbst. Wenn Narren nicht mehr in Mode sind, bedenke, wie minderwertig wäre der Leibdiener eines Narren.«
»Und König Listenreich? Ist der auch nicht mehr in Mode ?«, fragte ich sarkastisch.
»Es ist nicht mehr in Mode, sich übermäßig Sorgen zu machen«, erwiderte er und vollführte einige Pirouetten. Dann blieb er ruckartig stehen, richtete sich erneut würdevoll auf, wie es sich für seine neue Erscheinung geziemte, und schritt gemessen durchs Zimmer. »Ich soll heute Abend an des Prinzen Tafel sitzen und Frohsinn und Witz versprühen. Glaubst du, dass mir das gelingt?«
»Erheblich besser als mir«, antwortete ich säuerlich und fügte hinzu: »Schmerzt es dich nicht, dass Veritas tot ist?«
»Schmerzt es dich nicht, dass Blumen in der Sommersonne verblühen?«
»Narr, es ist Winter draußen.«
»Das eine ist so wahr wie das andere. Glaub mir.« Der Narr blieb abrupt stehen. »Ich bin hergekommen, um von dir einen Gefallen zu erbitten, ob du es glaubst oder nicht.«
»Das eine ist so leicht wie das andere. Worum geht es?«
»Töte nicht meinen König zugunsten des deinen.«
Entsetzt schaute ich ihn an. »Niemals würde ich meinen König töten! Wie kannst du es wagen, mir so etwas zu unterstellen!«
»Oh, ich wage viel dieser Tage.« Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ging vor dem Kamin auf und ab. In seinem neuen Putz und mit seinen ernsthaften Manieren machte er mir Angst. Es war, als hätte ein anderes Wesen von seinem Körper Besitz ergriffen, eins, das mir fremd war. »Niemals also … Nicht einmal dann, wenn der König deine Mutter ermordet hätte?«
Mir war, als schwankte der Boden unter meinen Füßen. »Was versuchst du mir zu sagen?«, flüsterte ich.
Mit dem Schmerz in meiner Stimme wirbelte der Narr herum. »Nein, nein! Du verstehst mich falsch!« Er meinte es ehrlich. Für einen kurzen Augenblick sah ich hinter der neuen Fassade wieder meinen alten Freund. »Aber«, fuhr er mit tief gesenkter Stimme fort - und sein Ton war bedeutungsvoll und beinahe verschlagen -, »wenn du überzeugt wärst, der König hätte deine Mutter ermordet, deine angebetete, liebende, hingebungsvolle Mutter, hätte sie einfach ermordet und dir für immer entrissen. Glaubst du, dann könntest du ihn töten?«
Ich war so lange blind gewesen, dass ich einen Moment brauchte, bis mir dämmerte, was er meinte. Edel glaubte, seine Mutter wäre vergiftet worden, das war einer der Gründe für seinen unversöhnlichen Hass auf mich und ›Lady Quendel‹. Er glaubte, wir hätten den Mord auf Befehl des Königs begangen. Das war absurd. Königin Desideria war durch eigenes Verschulden
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