Fitz der Weitseher 2 - Der Schattenbote
Überlebenden und rechtmäßigen Erben kam. Kettricken stockte kein einziges Mal - auch nicht, als sie zu Veritas’ Namen kam -, sondern las mit fester Stimme die kurze Anmerkung vor: »Während einer Reise zum Bergreich durch Unglücksfall zu Tode gekommen«, als wäre sie Bestandteil einer Zutatenliste. Das Kind, das sie trug, blieb unerwähnt. Ein ungeborenes Kind war formell ein Erbe, aber nicht König oder zur Thronfolge bestimmt. Erst mit wenigstens sechzehn Jahren konnte man diesen Titel beanspruchen.
Kettricken hatte aus Veritas’ Truhe den einfachen Silberreif mit dem blauen Stein genommen, was die Krone für den Thronfolger war, und dazu die Kette aus Gold und Smaragden in Gestalt eines springenden Rehbocks. Beides gab sie König Listenreich, der darauf niedersah, als wüsste er nichts damit anzufangen. Schließlich griff Edel danach, und der König duldete, dass er ihm das Geschmeide aus den Händen nahm. Dann setzte sich Edel die Krone auf, hängte sich die Kette um den Hals und stand vor uns als neuer Thronfolger der Sechs Provinzen.
Chades Zeitplanung war ungenau. Die Kerzen begannen erst zu zischen und blaue Funken zu sprühen, als die Herzöge vortraten, um erneut dem Haus Weitseher Treue und Gefolgschaft zu schwören. Edel bemühte sich, das Phänomen zu ignorieren, bis das aufbrausende Stimmengemurmel den Eid des Herzogs Ram von Tilth zu übertönen drohte. Dann drehte er sich wie selbstverständlich um und drückte die störende Kerze aus. Ich bewunderte ihn für sein sicheres Auftreten, besonders weil fast im selben Moment eine zweite Kerze sich blau färbte und er ihr sofort ebenfalls den Garaus machte. Ich für meinen Teil hielt es von Chade als etwas dick aufgetragen, als dann noch eine Fackel in dem Wandhalter neben der großen Flügeltür plötzlich unter furchtbarem Gestank eine blaue Stich flamme ausstieß und daraufhin zuckend erlosch. Alle Augen hatten sich dorthin gerichtet. Edel wartete scheinbar gelassen ab, doch ich sah, wie es in ihm arbeitete und wie die kleine Ader an seiner Schläfe heftig pochte.
Ich weiß nicht, was er sich zu vor zum Abschluss seiner Zeremonie ausgedacht hatte, denn nach diesen Vorfällen kam er ziemlich abrupt zum Ende. Auf sein schroffes Zeichen hin griffen die Musikanten in die Saiten, die Türen öffneten sich, und Männer trugen bereits mit Speisen beladene Tischplatten herein, Burschen mit den Tischgestellen kamen hinterhergelaufen. Wenigstens für dieses Fest zu seinen Ehren hatte er an nichts gespart und die schön angerichteten Braten und Pasteten wurden freudig willkommen geheißen. Falls es an Brot zu mangeln schien, beschwerte sich niemand deswegen. Im kleinen Saal war für die königliche Familie und den Hochadel gedeckt, und dort hin sah ich Kettricken König Listenreich geleiten, gefolgt von dem Narren und Rosemarie. Für uns von weniger vornehmem Stand gab es einfachere Speisen, aber dennoch reichlich, und hier war Platz zum Tanzen.
Ich hatte vorgehabt, beim Essen tüchtig zuzulangen, doch ständig traten Männer an mich heran, die mir allzu brüderlich auf die Schulter klopften, oder Frauen, die allzu wissend meinem Blick begegneten. Die Küstenherzöge saßen mit den anderen an der königlichen Tafel, brachen mit Edel das Brot und tranken zum Schein auf das neu geschlossene Bündnis. Ich hatte damit gerechnet, dass die Herzöge von Rippon und Shoaks von Herzog Brawndy ins Bild gesetzt worden waren, doch es beunruhigte mich, feststellen zu müssen, dass offenbar jedermann Bescheid wusste.
Zelerita erhob keinen Anspruch auf mich als Kavalier, aber sie folgte mir wie ein Hündchen auf Schritt und Tritt. Wann immer ich mich umdrehte, sah ich sie jeweils ganz in meiner Nähe hinter mir stehen. Sie wünschte sich, dass ich mit ihr redete, aber ich traute mir nicht zu, die angemessenen Worte zu finden. Ich hätte beinahe die Fassung verloren, als ein kleiner Edelmann aus Shoaks mich beiläufig fragte, ob ich dächte, eins der Kriegsschiffe würde auch so weit südlich wie Trugbay stationiert werden.
Mein Herz wurde mir schwer, denn ich erkannte meinen Irrtum. Keiner von ihnen fürchtete Edel. Sie sahen von ihm keine Gefahr ausgehen, sondern nur einen verwöhnten Gernegroß, der schöne Gewänder tragen und sich mit einem Kronreif und mit einem Titel schmücken wollte. Sie glaubten offenbar, er würde einfach so weggehen und man könnte ihn vergessen. Ich wusste es besser.
Ich wusste, wozu Edel fähig war, ob nun aus Machtgier, aus einer
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