Five Stars 02 - Wildes Verlangen
ersten Mal, seitdem ich das Krankenzimmer betreten hatte, verzog Daniel den Mund zu einem Lächeln, seine Augen aber blieben traurig. »Das ist nur die halbe Wahrheit, Violetta. Mein genetischer Typus ist ausgesprochen selten und die Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb der nächsten zwölf Monate eine Spenderniere für mich gefunden wird, beträgt weniger als zehn Prozent.«
»Was interessiert mich die Wahrscheinlichkeit«, sagte ich und küsste dabei seine Handinnenfläche. »Das Leben meint es gut mit uns, Liebster, also wird es uns eine Niere für dich schenken.«
Daniel entzog mir sanft die Hand und richtete sich im Bett auf. Es schmerzte mich zu sehen, dass es ihm Mühe machte, seinen Körper in eine aufrechte Sitzposition zu bringen. Als er es endlich geschafft hatte, klopfte er mit der Hand auf den Rand des Bettes. »Setz dich Violetta.« Er legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und ich hatte das Gefühl, sie sei heiß wie ein Bügeleisen, zumindest brannte meine Haut unterhalb des Hosenstoffes. »Sieht man davon ab, dass ich eine glückliche Kindheit hatte, obwohl sich meine Eltern früh trennten, und dass ich einen Flugzeugabsturz überlebte, den man normalerweise nicht übersteht, bist du das Beste, was mir im Leben widerfahren ist. Du hast mir die hellste und ausgefüllteste Zeit meiner sechsunddreißig Lebensjahre geschenkt. Zum ersten Mal verspürte ich den Wunsch, mit einem Menschen alt zu werden.«
Ich schaute direkt in Daniels Augen, deren Pupillen nur stecknadelkopfgroß waren und die dadurch wie ein dunkler Spiegel wirkten, in dem ich glasklar meine Gefühle sah. Ich beugte meinen Oberkörper zur Seite, bettete meinen Kopf auf Daniels Schulter und hob, nachdem ich die Pumps von den Füßen geschleudert hatte, die Beine mit einem sanften Schwung aufs Bett. Daniel ließ es geschehen, legte sogar seinen Arm hinter meinen Kopf und begann, spielerisch eine meiner Haarsträhnen zwischen seinen Fingern zu drehen. »Als auf den Seychellen etwas zwischen uns begann, von dem ich anfangs nicht wusste, wohin es uns führen würde, war ich mir sicher, noch viele gesunde Jahre vor mir zu haben, denn ich hatte mich schon lange nicht mehr so lebendig gefühlt. Heute weiß ich, dass es ein Trugschluss war.«
»Nein, du weißt es nicht«, sagte ich und bemühte mich um einen sanften und gleichzeitig leicht ironischen Ton. »Du glaubst, dass du keine Chance auf eine neue Niere hast, aber zu glauben, dass hast du mir lange und oft genug erklärt, weiser Lehrer, heißt, nicht zu wissen.«
»Du bist eine gute Schülerin, allerdings vergisst du einen wichtigen Aspekt. Das Leben an sich hat keinen Sinn, wir Menschen müssen ihm eine Bedeutung verleihen. Für mich bedeutet Leben Unabhängigkeit. Diese Freiheit ist mir genommen, denn mein Leben ist voll und ganz abhängig von einer Maschine.«
»Aber doch nicht für immer, Daniel.« Ich richtete mich etwas auf und streichelte mit der Hand über seine Wange. Mir kam es vor, als schmiege sich sein Gesicht an, aber vielleicht war auch nur der Wunsch der Vater dieser Empfindung.
»Niemand kann sagen, ob es jemals eine passende Spenderniere für mich gibt, Violetta. Und genau das ist das Problem. Wenn ich einwillige, darauf zu warten und die Dialyse in Kauf nehme, akzeptiere ich gleichzeitig, dass dieser Zustand der totalen Abhängigkeit für den Rest meines Lebens andauern könnte.«
»Wir können nicht über alles bestimmen«, entgegnete ich, wusste aber im nächsten Augenblick, wie schwach dieses Argument war.
»Nicht alles«, entgegnete Daniel genau, wie ich es erwartet hatte, »aber alles, was wichtig ist, unterliegt am Ende unserem freien Willen.«
Er drehte sich mir zu und nahm meinen Kopf zwischen seine Hände. »Keine Angst, Violetta. Ich werde keine übereilten Entscheidungen treffen. Noch gebe ich Oskar und seinen weißbekittelten Kollegen eine Chance. Aber … .«
Ich ließ ihn den Satz nicht beenden, sondern drückte meine Lippen auf seine. Er war zu überrascht, um zu protestieren. Für einen Moment glaubte ich, das Krankenhaus, die Dialyse und alles andere sei nur ein schlechter Traum und er würde seinen Mund öffnen, damit unsere Zungen den Tanz beginnen konnten, den unsere Hände begierig aufnehmen würden. Erst als ich merkte, dass Daniel hörbar nach Luft schnappte, löste ich mich von ihm. Er lachte kurz auf. »Vorsichtig, meine Liebe, du solltest das Herz eines Schwerkranken nicht zu sehr belasten.«
»So krank bist du gar nicht, meint
Weitere Kostenlose Bücher