Five Stars 02 - Wildes Verlangen
verstellbare Kopfteil erinnerte einen daran, dass es sich um ein Krankenlager handelte. Vor einem die ganze Breite des Raumes einnehmenden und bis zum Boden reichenden Fenster stand eine Sitzgruppe, deren dunkelroter Stoff dem Raum eine behagliche Atmosphäre gab. Der Blick war atemberaubend, direkt vor uns ragte der Skytower in die Höhe, von dessen Spitze sich oft Todesmutige an einem Seil in die Tiefe stürzten.
Daniel lag mit geschlossenen Augen im Bett, Arme und Hände waren unter der Bettdecke versteckt, sein Brustkorb hob und senkte sich langsam. Er schlief, was mir Zeit gab, ihn zu betrachten. Seine Wangen waren eingefallen und er war blass. Mir traten Tränen in die Augen, die ich mit einer raschen Bewegung entfernte. Mattis legte mir die Hand auf die Schulter und schob mich sanft in Richtung des Bettes. »Ich lasse Sie alleine«. In seiner Stimme lagen Hoffnung und Zweifel dicht beieinander und zum ersten Mal merkte ich, wie viel ihm an seinem Halbbruder liegen musste, den er Jahrzehnte nicht gesehen hatte. Vermutlich wollte er ihn nicht schon wieder verlieren. Zögerlich ging ich weiter. Als ich direkt neben dem Bett stand, schlug Daniel die Augen auf.
»Warum bist du gekommen?« Seine Stimme war glanzlos und matt, aber in seinen Augen blitze für eine Sekunde ein Strahlen, wie in einem Fenster, durch das man in die glückliche Vergangenheit schauen konnte. Ich legte meine Hand auf seine. Die Haut fühlte sich an wie Pergament, das bis zum Zerreißen gespannt war, ich wagte kaum, sie zu streicheln.
»Antworte«, sagte er schneidend. Es klang wie der Befehl eines Offiziers an einen einfachen Soldaten. Obwohl mir nicht danach zumute war, musste ich lächeln. »Jawohl, mein General!« Daniels Mundwinkel zuckte leicht und seine Augen verengten sich. Ich atmete tief durch. »Du weißt, warum ich hier bin, Daniel.«
Er schloss die Augen. »Nein, ich weiß es nicht. In meinem Brief steht alles, was es zu sagen gibt.« Er drehte den Kopf zur Seite und erklärte damit die Unterhaltung für beendet. Ich spürte, wie ich wütend wurde, und musste mich zusammenreißen, nicht laut zu werden. »Was bildest du dir eigentlich ein? Was glaubst du, wer du bist? Eine Art Gott, der über das Schicksal eines kleinen, unbedeutenden Menschen namens Violetta Stein ganz nach Belieben entscheiden kann? Der sie aus ihren gewohnten Bahnen holt, ihr eine Welt zeigt, die sie bisher nicht kannte, ihr Flausen in den Kopf setzt von Freiheit und Unabhängigkeit, um sie schlussendlich, wenn sie ihrem Herrn bereitwillig folgt, einfach mit einem diabolischen Lachen fallen zu lassen? Nein, Daniel Mattis, du bist nicht Gott und ich nicht deine Dienerin, die du mit einem Fußtritt wieder aus deinem Leben befördern kannst. Freiheit - und davon redest du ja nun pausenlos - bedeutet auch, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, anstatt die Flucht zu ergreifen, wenn es einmal schwierig wird.«
Ich hatte die Worte ohne Pause mehr herausgeschleudert als gesprochen und wunderte mich über meine Spontanität, denn ich hatte mir nichts davon vorher zurechtgelegt. Daniel änderte seine Position nicht, noch immer hatte er den Kopf von mir abgewandt. Ich ging auf die andere Seite des Bettes und hockte mich hin, sodass mein Gesicht mit seinem auf gleicher Höhe war.
»Nun gut, Daniel Mattis, dies ist deine letzte Chance. Wenn du jetzt nicht mit mir redest, wirst du mich niemals wiedersehen. Ich werde dich aus meinem Leben verbannen und sollte jemals irgendeine bedauernswerte Kreatur die Rede auf dich bringen, werde ich dich als das arrogante Arschloch schildern, dass du bist. Ich werde den Leuten erzählen, was für ein Feigling dieser Daniel Mattis war, was für ein Klugschwätzer, der zwar ständig über Freiheit und Unabhängigkeit predigte, seine Grundsätze aber sofort über Bord warf, als das Leben ihm einen Strich durch seine schöne Rechnung zu machen schien.«
Daniels Hand schnellte mit erstaunlicher Schnelligkeit unter der Bettdecke hervor und legte sich über meinen Mund.
»Sch …«, sagte er und schlug die Augen auf, »ist ja gut.«
Ich ergriff seine Hand und küsste sie. Er wehrte sich nicht, schloss aber erneut die Augen, bevor er weiter sprach.
»Oskar hat dir erzählt, wie es um mich steht?«
Ich hörte mit den Liebkosungen seiner Finger auf, hielt aber weiterhin seine Hand fest. »Ja, Liebster. Du musst übergangsweise an diese Maschine angeschlossen werden, bis eine neue Niere für dich gefunden wird.«
Zum
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