zum Teufel rief mich mitten in der Nacht an? Ich tastete nach dem Telefon und starrte auf das leuchtende Display. »Unbekannter Anrufer« schrie es mir entgegen. Ich kämpfte ein paar Sekunden mit mir, nahm aber nicht ab. Vermutlich hatte sich ohnehin nur jemand verwählt, der Unbekannte hinterließ keine Nachricht auf der Mailbox.
Ich fand nur schwer zurück in den Schlaf und als es mir endlich gelungen war, klingelte es an der Haustür. Es war kurz nach sechs. Ich wollte den Besucher ignorieren, aber er läutete Sturm. Im eilig übergezogenen Bademantel schlurfte ich zur Tür.
»Frau Stein? Telegramm für Sie.«
Ich starrte den Mann an. Telegramm hörte sich nach letztem Jahrtausend an. Er überreichte mir einen Umschlag, ließ sich den Empfang quittieren und verschwand. Ich riss das Kuvert auf.
»Komme morgen um 17 Uhr an. Wohne im Hotel Kaiserhof. Wir müssen reden. Daniel.«
Vierundzwanzig
»Du willst reden? Hier bin ich!«
Ich drückte Daniel zur Seite und stürmte in sein Hotelzimmer. Er schloss die Tür und drehte sich zu mir um. Um seine Lippen spielte ein Lächeln. Ich hatte allen Mut für diese Überrumpelungstaktik zusammengenommen und ließ mich davon erschöpft in einen der zwei Sessel fallen.
»Guten Tag, Violetta, schön dich zu sehen.«
Er sah ganz anders aus, als auf Denis Island. Statt sommerlicher Leinenbekleidung trug er Jeans und Pulli, was ihm, ich musste es gestehen, ebenso gut stand. Er bot mir einen Kaffee an, was ich dankend ablehnte. Schweigend ging er zu einem kleinen Schreibtisch in der Zimmerecke und holte sein Notebook, um es mir aufgeklappt vor die Nase zu halten. Ich las noch einmal den Text, der sich längst in mein Gedächtnis eingegraben hatte.
»Schön, dass Sie an Bord sind. Wir werden das Kind schon schaukeln. Alle weitere morgen persönlich. Ich freue mich. Daniel Mattis.«
Ich war wütend und schrie Daniel an. »Was soll das? Meinst du, diese E-Mail könnte ich je vergessen?«
Ohne ein Wort zu sagen, tippte er mit dem Finger auf das Empfängerfeld. Ich brauchte ein paar Sekunden, ehe ich begriff. Er hatte die E-Mail an
[email protected] geschickt, also an den Chef direkt und nicht an Katja. In meinem Kopf ratterten die Gedanken. Hatte Katja, die falsche Schlange ... ?
Daniel stellte das Notebook auf den Tisch und setzte sich.
»Können wir jetzt vernünftig reden?«
Ich nickte stumm.
»Als du Hals über Kopf von Denis Island geflohen bist, versuchte ich, zu retten, was zu retten war. Ich stand gegenüber der Hotelgesellschaft in der Pflicht und ich musste diese Kampagne durchziehen, andernfalls konnten sie mich regresspflichtig machen. Also telefonierte ich mit König und wir einigten uns darauf, dass er persönlich die Sache in die Hand nahm. Es war nie die Rede davon, dass Katja für mich arbeiteten sollte.« Er winkte ab. »Ehrlich gesagt halte ich sie nicht für fähig, deinen Plan in die Tat umzusetzen.«
Ich hatte den Kopf gesenkt und wagte nicht aufzuschauen.
»Die E-Mail«, Daniel deutete auf das Notebook, »habe ich an König geschickt, nicht an Katja.«
Mir schossen Tränen in die Augen. Nicht weinen, redete ich in Gedanken auf mich ein, jetzt bloß nicht losheulen! Es war vergeblich, die Tränen ließen sich nicht zurückhalten und fünf Sekunden später schüttelte mich ein Weinkrampf. Schluchzend fragte ich, nur um überhaupt etwas zu sagen: »Und ... die Kampagne?«
»Die ist Charlys Sache. Mit der hast du eine gute Wahl getroffen, in Personalfragen hast du ein gutes Näschen.«
Ich holte stockend Atem und schniefte. »Wann fangt ihr an?«
»Heute«, antwortete Daniel
Ich schaute ungläubig auf.
»König hat die Promis direkt von Antigua auf die Seychellen verfrachtet. Im Moment drehen sie wahrscheinlich gerade das Video für YouTube.«
Ich glaubte nicht, was ich hörte. »Und du bist hier?«
»Ich habe gelernt, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.«
Der letzte Satz ließ mich in einen Tunnel stürzen. Der Weinkrampf schüttelte mich und die Tränen rannen Sturzbächen gleich über meine Wangen. Ich nahm meine Umwelt nicht mehr war, verlor völlig die Orientierung. Irgendwann merkte ich, dass Daniel sich vor mich auf den Boden gekniet hatte. Er hielt mich im Arm, wiegte mich wie ein kleines Kind vor und zurück und streichelte über meinen Kopf. Irgendwann begann er, meine Tränen wegzuküssen. Ich wollte mich ihm entziehen, aber eine stärkere Macht hielt mich im Sessel zurück. Seine Lippen fanden meine und seine