Fix und forty: Roman (German Edition)
artikuliert werden können.
Unsere Verabredung war vielleicht das schrägste Rendezvous, das ich je hatte. Normalerweise tauschen Leute beim ersten Date Informationen über ihre jeweiligen Berufe, Familien und Ansichten aus. Wir zeigten uns dagegen die Risse in unserer spirituellen Rüstung auf. Ich war so sprachlos, dass ich, als Mitch einen Spaziergang zu einem kleinen Restaurant vorschlug, nur wusste, dass ich unmöglich nicht mit ihm mittagessen gehen konnte. Dieser Mann und ich waren dafür bestimmt , miteinander mittagessen zu gehen. Erst die Nüsse, nun die Risse.
Aber jetzt kommt das Beste. Als wir die Straße hinuntergingen, entdeckte ich plötzlich meine alten Freunde Alba und Raoul, die auf der Terrasse eines anderen Cafés zu Mittag aßen. Unser Weg führte direkt an ihnen vorbei, sodass ich nicht darum herumkommen würde, ihnen Mitch vorzustellen. Ich hatte die beiden das letzte Mal im vergangenen Frühjahr in Bologna gesehen, als sie Lola besuchten. Alba stammte genauso wie Lola und ich aus einem mennonitischen Elternhaus, und auch wenn sie in die Welt hinausgezogen war, hielt sie ihre Herkunft in Ehren. Alba und Raoul hatten von meiner Scheidung gehört; natürlich würden sie brennend daran interessiert sein, mit was für einem Mann ich jetzt unterwegs war. Alba war kognitive Verhaltenstherapeutin und arbeitete als Trauerbegleiterin in Entwicklungsländern. Raoul war plastischer Chirurg, der für Ärzte ohne Grenzen Gaumenspalten operierte. Das hier würde knifflig werden.
Wir umarmten uns. Ich stellte Mitch vor, innerlich flehend, dass er sich nicht nach dem Stand der Erlösung meiner Freunde erkundigen würde. Wir hielten etwa fünf Minuten lang Small Talk. So weit, so gut. Doch gerade als ich erleichtert aufatmen wollte, richtete Alba den Blick auf Mitchs Zimmermannsnagel.
»Ich habe auch so einen Nagel«, sagte sie. »Er stammt aus der Scheune meines Großvaters. Als wir die Scheune auf unser Grundstück umsetzten, haben wir ein paar der alten Nägel aufgehoben.«
»Wir haben ein paar echt coole Briefbeschwerer daraus gefertigt«, sagte Raoul. »Die Scheune wurde 1850 gebaut.«
»1860«, korrigierte Alba, »direkt nachdem Garibaldi und Viktor Emanuel II. sich in Teano die Hand reichten.« Sie sah Mitch an. »Und was für eine Geschichte verbirgt sich hinter Ihrem Nagel?«
Das war der Moment, als der dämonische Fluch, der seit Frankie Versalini an Mitch geklebt hatte, auf meinen Schuh übersprang, bildlich gesprochen.
»Mein Nagel ist der Nagel in den Händen und Füßen von Jesus. Er wurde für unsere Sünden gekreuzigt.«
»Oh«, sagte Alba peinlich berührt.
»Aber es ist nicht der Originalnagel«, erklärte Mitch. »Dieser Nagel ist eine Nachbildung.«
»Ach so«, sagte Raoul.
»Schön, euch beide wiedergesehen zu haben«, rief ich munter. »Ich bin noch ein paar Monate hier. Wir müssen unbedingt mal mittagessen gehen!«
Ich sah eine andere Seite der kalifornischen Kultur, wenn ich mit Alba und Raoul zusammen war. Normalerweise begegneten wir uns in Europa; dies war das erste Mal, dass ich sie in ihrem neuen Haus in den Staaten besuchte. Ihr Sohn Holden war schon ein großer Junge, drei Jahre alt, und kürzlich in seiner teuren Kindertagesstätte von der Welpen- zur Drachengruppe befördert worden.
Als ich ankam, lief Holden mir entgegen und verlangte eine Überraschung von mir. Ich hatte ein Blatt Dinosaurier-Sticker zu bieten, das er freudig annahm. Sorgfältig brachte er die Aufkleber an der Wandtäfelung von Alba und Raouls originalem Arts-and-Crafts-Bungalow von 1912 an. Eine Stunde später, und nach jeder weiteren Stunde, stellte Holden mir die gleiche Frage: »Rhoda, hast du eine Überraschung für mich?« Für meinen Übernachtungsbesuch hatte ich drei Mitbringsel eingepackt: die Dinosaurier-Sticker, eine Dose Luftschlangenspray und einen Zauberwaschlappen. Jetzt aber waren mir die Überraschungen ausgegangen. Und ehrlich gesagt fand ich das Nachfrage-Angebot-Spiel so langsam ein wenig ermüdend. Holden fing jedes Mal an zu schreien und zu heulen, wenn ich ihm erklärte, dass ich leider keine Überraschungen mehr hatte. Für ihn, meine ich. Dafür bekam ich eine Überraschung. Einen Tritt gegen das Schienbein.
Alba und Raoul, inzwischen hartgesottene Eltern, ließen sich vom Benehmen ihres Sohnes nicht stören. Wenn Holdens Heulen besonders dramatisch anschwoll, sagten sie nur beiläufig zu ihrem Jungen: »Die Leute haben nicht immer eine Überraschung dabei, Liebes.«
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