Fix und forty: Roman (German Edition)
klopfte seinem Vater auf die Schulter. »Das ist mein Vater Albert. Er ist blind. Und ich bin Mitch.«
Wir schüttelten uns die Hand. »Ich bin Rhoda.«
»Rhonda«, sagte Mitch. »Ich würde mich echt freuen, wenn Sie mir mailen. Falls Sie keinen Freund haben und so.«
Dann fuhr er mit seinem Vater und dem Nuss-Mix davon.
Er hatte seine E-Mail-Adresse in eiliger Druckschrift auf das Briefpapier von Twilight Shores gekritzelt. Twilight Shores war die betreute Wohneinrichtung gegenüber von meinen Eltern. Damit war die Sache besiegelt. Wer baggert eine Frau mit einem blinden alten Vater im Schlepptau an? Ich schrieb Mitch gleich am nächsten Tag und schlug eine Verabredung zum Kaffee vor. Ich war zwar nicht gerade eine alleinstehende Frau Gottes, aber hey, ich konnte immerhin aus der Bibel zitieren. Irgendetwas Ungewöhnliches war an dem Mann, das mich interessierte. Auch wenn ich nie behaupten würde, dass eine göttliche Stimme mich zu diesem Treffen gedrängt hatte, so war es doch zumindest ein leises Bauchgefühl. Und mein Bauch flüsterte: »Nuss-Mix!«
In der Woche darauf, als ich auf das Café zuging, auf dessen Terrasse Mitch auf mich wartete, wurde mir allerdings unbehaglich. Schon von der anderen Straßenseite konnte ich sehen, was er um den Hals trug. Einen kruden zehn Zentimeter langen Nagel an einer Lederkordel.
Außenstehende würden sich wahrscheinlich nicht viel dabei denken, wenn ein knallharter Hüne mit Ziegenbärtchen einen großen Nagel um den Hals trägt; sie würden seine Kette für ein typisches Accessoire von Rockern und Metalheads halten. Doch ich wusste genau, was dieser Nagel zu bedeuten hatte.
Der krude Nagel war ein Tribut an die Leiden unseres Herrn und Erlösers.
Tausende von ungebildeten Eiferern hatten mit Begeisterung Mel Gibsons filmische Version der Passion Christi gesehen. Und anschließend waren sie in Massen ausgerückt und hatten sechzehn Dollar neunundneunzig für die »Authentische Merchandise-Nagel-Kette« hingeblättert, weil sie törichterweise glaubten, dass der quadratköpfige Nagel, wie er auch auf dem Turiner Grabtuch zu sehen ist, Christi göttliche Natur bestätigte. Dies waren die gleichen Typen, die uns zehn Jahre zuvor mit Blicken zu der Frage herausgefordert hatten, wofür die Buchstaben an ihrer Kette standen: WWJT – Was würde Jesus tun? Ich schämte mich so sehr, als ich den Nagel erblickte, dass ich meinem neuen Freund nicht in die Augen sehen konnte. Sollte ich zu meinem Wagen zurückgehen und so tun, als wäre die Nuss-Mix-Begegnung nie passiert? Sollte ich zu ihm gehen und ihm sagen, dass das hier ein Fehler war? WWJT? WJSSUECB? (Würde Jesus sich setzen und einen Capuccino bestellen?)
Genau das tat ich jedenfalls. Und, wow, ich mochte ihn doch. Den Rocker, nicht Jesus. Mir gefielen seine klaren Ansagen. Er war zweimal verheiratet gewesen; seine Tochter war mit einem Knasti zusammen; am 12. März 2001 hatte Gott sein Gebet um Abstinenz erhört. Er gehörte einer Kirche namens »Faith Now« an. Wie ich erfuhr hatte »Faith Now« ein Notfallteam für Opfer von Heimsuchungen.
Ich musste sofort an die Salemer Hexenprozesse denken, als eine Gruppe erwachsener Männer und Frauen, die sich die Heimgesuchten nannten, behauptete, sie würden von Dämonen terrorisiert. In der Geschichtsschreibung wird ausführlich von all den jungen Mädchen gesprochen, die der Hexerei angeklagt wurden, doch mich haben die Heimgesuchten immer mehr beschäftigt.
»Ein Notfallteam für Heimgesuchte? Wirklich?« Ich beugte mich näher zu ihm.
»Das Team wird gerufen, wenn eine Situation entsteht, in der jemand spirituell heimgesucht wird«, erklärte Mitch.
»Sie meinen von Dämonen?«
»Klar, Dämonen«, sagte Mitch, »Heimsuchungen können aber auch im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch auftreten. Oder Depressionen.«
Ich lächelte, als ich mir vorstellte, wie ein spirituelles Notfallteam in kurzärmeligen Hemden und Krawatten mit cordgebundenen Bibeln bei uns zu Hause vor der Tür stand, um meinem Mann die Depressionen auszutreiben. Nichts hätte Nick schneller dazu gebracht, Möbel zu zerlegen. Und was für ein schmutziges Mundwerk Nick hatte! Er erfand aus dem Stegreif die phantasievollsten Flüche, die ich persönlich je gehört hatte. »Herrgottverwichstes Scheißdreck-Knäckebrot mit einem gottverdammten Zweiminutenei!«, rief er öfters mal. Ein solcher Ausbruch hätte ohne Zweifel das Heimsuchungs-Notfallteam auf den Plan gerufen und den klaren Beweis
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