Fix und forty: Roman (German Edition)
vielleicht war er ein berühmter Produzent – was wusste ich schon. Jedenfalls war ich nicht besonders an ihm interessiert. Ich beobachtete eine Weile, wie schöne Menschen ohne erkennbares Muster durch den Raum glitten, während sie sich an ihren Granatapfel-Martinis festhielten. Dann entdeckte ich plötzlich Raoul, der hinter dem Hipster mit lauter wichtigen Leuten zusammenstand. Ein dicker Brocken Pop Rock klebte an einem seiner Mundwinkel.
Ich suchte Raouls Blick und wischte mir bedeutungsvoll über den Mund. Er runzelte nur die Stirn und sah mich fragend an. Na gut, Plan B, ich machte das universell verständliche Gesicht für: »Hey, Mann, dir klebt da was im Gesicht!« Doch er kapierte immer noch nicht und fragte nur tonlos: » Was ?« Während ich weiter so tat, als würde ich dem Musik-Fuzzi zuhören, flüsterte ich »Pop Rock!« , und endlich begriff Raoul und wischte sich die Brause vom Mund.
Allerdings dachte der Musik-Fuzzi, ich hätte mit ihm geredet. Voller Zuversicht und mit jeder Menge Charisma antwortete er: »Pop Rock? Ah, ja, die habe ich letzten Sommer im Roxy gehört. Ich hatte einen Backstageausweis.«
Verstehen Sie mich nicht falsch; ich habe größten Respekt vor der Welt der Kunst und ihren Experten. Es gibt immer den weißen Professor, der sich als Schwarzer fühlt. Es gibt immer den Cocktail mit einer Retro-Zutat wie Quench . Es gibt immer die Konzeptkünstlerin, deren bevorzugtes Thema ihr eigenes Menstruationsblut ist. Es gibt immer den Endiviensalat, der mit Mango-Chutney angemacht wird, und die Tanztruppe, die alles macht außer Tanzen. Es gibt immer jemanden, der mit vollem Ernst sagt: » Subjektiviert und produktiv sind irreführende Begriffe, da sie leicht zu definieren sind, aber aufgrund der definitionsinhärenten Interpretationsvarianten weniger leicht diskutiert werden können.« Es gibt immer die trendbewusste Frau im rotbraunen Kleid, die als Accessoire eine gleichfarbige Gemüsezwiebel mit sich herumträgt. Und wenn Sie anschließend nach Hause kommen, gibt es immer den wenig eloquenten Babysitter, der singt: »Widewidewenne heißt meine Antenne«.
All dies sind Perlen, die ich schätze. Wenn ich mich auf einer Veranstaltung wie dieser schon nicht amüsiere, möchte ich wenigstens darüber lachen können. Doch aus irgendeinem Grund gelang es mir diesmal nicht. Ich weiß nicht warum. Vielleicht, weil mich diese Welt zu sehr an meine Ehe erinnerte.
Irgendwann hütete ich Holden für einen Nachmittag. Raoul war in China und operierte Gaumenspalten, Alba war beim Pilates und die Tagesmutter bei der Pediküre. Es war einer dieser perfekten kalifornischen Spätnachmittage, an dem es noch so warm war, dass ich im Schatten der von Jasmin überwachsenen Laube in Albas Vorhof Zuflucht suchen musste. Holden vergnügte sich mit zwei Trommelschlägeln und einem elektronischen Keyboard, das eine Auswahl an Percussion-Rhythmen bot. Er hatte einen Techno-Beat gewählt, der bei höchster Lautstärke weiterwummerte, als er das Keyboard auf der Stufe liegen ließ und sich zu mir unter die Laube gesellte. Ich wusste, was kommen würde, und mir graute davor.
»Rhoda«, sagte er mit herzzerreißend leiser Stimme, »hast du eine Überraschung für mich?«
»Tut mir leid, Holden, aber ich habe keine.«
Sein Gesicht wurde dunkelrot. Von einem Moment auf den anderen war seine gute Laune wie weggeblasen. Er fing an zu heulen und feuerte die Trommelschlägel gegen die Pfosten der Laube. »DU HAST MIR KEINE ÜBERRASCHUNG MITGEBRACHT!!!«, brüllte er. Er strampelte und zuckte wie ein winziger Tasmanischer Teufel, sodass es mir unmöglich war, ihn in den Arm zu nehmen. »ICH WILL EINE ÜBERRASCHUNG!!!!«
»Ich auch«, gestand ich.
Armer Holden! Rhythmus-Gott, Schlägelwerfer, Schienbeintreter! Er heulte und tobte, und ich saß einfach nur da. Doch ich kannte seine Frustration. Weiter unten auf der Stufe wummerten die Techno-Beats und wechselten sich mit Holdens Schluchzern ab. Die Luft war vom honigsüßen Duft des üppigen Jasmins geschwängert. Wie konnte ein so wunderschöner Garten so voll von Unglück, so voll von Enttäuschung sein? »WO IST MEINE ÜBERRASCHUUUNG!!!!«, schrie Holden, und während er vor mir stand und mit geballten Fäusten und glühenden Wangen auf der Stelle trat, wuchs sein Kummer immer weiter, bis er schließlich aussah wie die Inkarnation des Pathos. Sein ganzer Körper verwandelte sich in ein bockendes, rasendes, wildes Ding. Holden war unser aller Abgesandter –
Weitere Kostenlose Bücher