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Fix und forty: Roman (German Edition)

Fix und forty: Roman (German Edition)

Titel: Fix und forty: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rhoda Janzen
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wir, die wir uns um das, was uns zusteht, betrogen fühlten, die wir fühlten, dass der Spätnachmittag unseres Lebens von Zorn und Schmerz getrübt war.

ZEHN
    Sie schallt, die Posaun’
    Meine Mutter fragte mich, ob ich Lust hätte, sie zu einer alten Dame zu begleiten, die sich gerade von einer Lungenentzündung erholte. Sie wollte Mrs. Leona Wiebe einen Teller frischen Tweebak und ein Mini-Gläschen ihrer selbst gemachten Erdbeermarmelade mitbringen, das Markenzeichen meiner Mutter: »Ich gebe ihr nur eine kleine Kostprobe. Damit sie nicht das Gefühl hat, ihr kleiner Kühlschrank ist zu voll.« Im Eisschrank, der sich in der Garage meiner Eltern befand, stapelten sich Hunderte dieser Portionsgläschen in militärischer Präzision. Meine Mutter versorgte zwei Altersheime mit Marmelade.
    Als ich zum ersten Mal die Tür des Garagenkühlschranks geöffnet und das riesige Lager entdeckt hatte, fragte ich, wofür sie und mein Vater so viel Marmelade brauchten.
    »Ach, das«, sagte sie, »ich bin doch Diakonin.«
    »Und in diesem Amt brauchst du Unmengen von Marmelade?«
    »Es ist immer gut, ein Mitbringsel dabeizuhaben, um die alten Damen aufzuheitern. Die selbst gemachte Marmelade erinnert sie an die gute alte Zeit, als Marmelade noch nicht nach Chemie schmeckte. Wer würde gekaufte Marmelade essen, wenn er sie frisch zubereitet bekommen kann? Komm doch mit, wenn ich die alte Mrs. Leona Wiebe besuche. Sie ist sechsundachtzig«, fügte sie hinzu, als könnte sie mich damit ködern.
    Zugegeben, es funktionierte. Ich unterhielt mich gerne mit alten Damen.
    »Ist sie geistig noch auf der Höhe?«, fragte ich.
    »Aber ja! Sie trägt eine Perücke!«
    Das musste ich mir merken.
    Die alte Mrs. Leona Wiebe begrüßte uns in eleganter Aufmachung: mit eisgrauer Perücke und sorgfältig aufgetragenem Make-up. Wir hatten vorher angerufen, damit sie Gelegenheit hatte, sich frisch zu machen, und Mrs. Leona Wiebe hatte sich wirklich ins Zeug gelegt. Make-up-technisch konnte ich noch von ihr lernen.
    »Leona!« Meine Mutter deutete eine Umarmung an, vorsichtig, um ihre zerbrechlichen Schultern nicht zu zerdrücken. »Sie haben wieder Farbe im Gesicht! Als ich Sie im Krankenhaus besucht habe, waren Sie so blass. Ich dachte schon, Sie wollten bald das Zeitliche segnen!«
    »Gott ist gütig«, antwortete die alte Mrs. Wiebe. »Ich habe meine Atemmaschine. Ich soll sie pünktlich jede Stunde benutzen, aber es ist schwer, daran zu denken, wenn ich gerade mit etwas anderem beschäftigt bin.«
    »Ein Atemtrainer? Schaffen Sie es, die Kugel bis nach oben zu bekommen?«, fragte meine Mutter, ganz die Krankenschwester.
    »Nein, nur bis zur Hälfte. Aber ich schaffe es, sie dort sechs Sekunden in der Schwebe zu halten. Ein Schritt nach dem anderen, gelobt sei der Herr! Ich hoffe, ich kann bald wieder raus auf den Sportplatz.«
    Hinter Twilight Shores befanden sich die Sportplätze des Mennoniten-Colleges, eine wunderschöne Anlage. Nachdem ich so weit genesen war, dass ich wieder Sport machen konnte, ging ich dort jeden Morgen laufen. Der Platz lud zu verträumten Runden unter dem wolkenlosen blauen kalifornischen Himmel ein. Heiße, strahlende Kilometer warteten darauf, zurückgelegt zu werden. Wie in Trance joggte ich zu den Schreien eines Pfaus, die vom nahe gelegenen Anwesen der Havakians herüberdrangen. Nie zuvor hatte ich einem Pfau so bewusst zugehört. Sein Schrei klang wie ein schicksalhaftes Miauen aus der Unterwelt. Wenn ich früh genug dran war, begegnete ich Mr. und Mrs. Clarence Penner, die täglich zwölf langsame Runden zusammen gingen, Hand in Hand. Das Einzige, was mein Erlebnis auf dem Sportplatz noch schöner gemacht hätte, wäre, die alte Mrs. Leona Wiebe dort zu sehen, die mit ihrer hellen Perücke am Leben hing wie eine weißblonde Spinne.
    Wir setzten uns auf ihre geblümte Couch.
    »Ich bin gerade siebenundachtzig geworden, gelobt sei der Herr«, erklärte sie.
    »Alles Gute! Möge es noch viele weitere Jahre zu feiern geben!«, sagte meine Mutter.
    Ich rechnete im Kopf nach. »Als Sie geboren wurden, war Calvin Coolidge Präsident«, sagte ich. »Dann müssen Sie im Zweiten Weltkrieg bereits eine junge Frau gewesen sein. Zuckerrationen, Jungs in Uniform.«
    »Nein, meine Liebe«, erwiderte Leona, die Beine in den grauen Hosen elegant übereinandergeschlagen. »Wir haben damals in China gelebt. Woran ich mich erinnere, sind die schrecklichen Zeiten unter General Chiang Kai-shek.«
    Ich setzte mich auf. »Oh! In China

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