Fix und forty: Roman (German Edition)
Dann wandten sie sich wieder einander oder mir zu und setzten die Erwachsenenunterhaltung fort.
Sowohl Alba als auch Raoul hatten Nick sehr gut gekannt, und gemeinsam gaben sie sich alle Mühe, mich zu trösten. Seit einer Weile litt ich unter dem Gefühl, dass mein Urteilsvermögen all die Jahre gestört gewesen war. Wie, fragte ich mich, konnte eine angeblich sensible und selbstkritische Frau fünfzehn Jahre lang in einer Ehe mit einem Mann ausharren, der sie nicht liebte? Hatte Nick mich je geliebt? Und wenn ja, wann hatte er damit aufgehört? Und warum war es so wichtig, das zu wissen? Raoul sagte: »Hey, wir waren auch da, vergiss das nicht. Natürlich hat Nick dich geliebt. Auf seine Art. Bipolare Menschen können verdammt charmant sein. Selbst wir waren in Nick verliebt. Du darfst nicht so hart zu dir sein.«
»Was du brauchst«, erklärte Alba entschieden, »ist, wieder auf die Piste zu gehen. Es ist acht Monate her, seit du das letzte Mal ein Date hattest. Es sei denn du zählst den Kerl mit dem Jesus-Nagel.«
»Nicht ganz acht Monate«, sagte ich. Ich erzählte ihnen von meinem Techtelmechtel mit dem Kiffer.
»Der Kiffer zählt nicht«, entgegnete sie. »Er hat dir nur gezeigt, dass du noch küssen kannst. Ich rede davon, dass du aus dem Haus gehen und jemanden kennenlernen musst, mit dem du etwas gemeinsam hast. Einen Mann, der dich zu würdigen weiß. Einen Mann, dem du nicht die Polizei auf den Hals hetzen musst.« Alba spielte auf den Tag an, als ich wegen Nick die Polizei rufen musste: den 3. Januar 2001. Ich klinge schon wie Mitch , dachte ich. Wie bescheuert ist es, sich so ein Datum einzuprägen?
Alba bot an, mich zu ein paar Vernissagen und Konzerten mitzunehmen. Zusammen kannten sie und Raoul die halbe Welt.
Eines Abends besuchten wir zu viert eine Ausstellungseröffnung. Alba und Raoul glaubten fest daran, dass die soziale Kompetenz von Kindern an den Aufgaben wächst, die wir ihnen stellen, und fanden, dass es Kindern zustand, von klein auf mit Kunst in Berührung zu kommen. Sollten sie dabei quengeln, sich die Hosen voll machen oder Wutanfälle bekommen, sei’s drum. Und so nahmen sie Holden überall mit hin. Theoretisch gestattete Alba Holden eine Süßigkeit pro Tag, und an diesem Nachmittag hatte er bereits einen Schokoladenkeks bekommen (wobei ich mit »einem« eher »vier« meine). Doch auf dem Weg zur Galerie machte Holden ein solches Theater, dass Raoul anhielt und ihm eine Tüte Pop-Rock -Brausepulver kaufte.
Auf der Vernissage unterhielt ich mich mit einem gepflegt schmuddeligen Hipster: verstrubbeltes Haar, sexy Dreitagebart, Dries - Van - Noten -Nadelstreifenanzug, Flipflops. Der Hipster leierte eine Reihe von Bandnamen und bekannten Musikern herunter, deren Ruhm mir aus zwei Gründen entgangen war. Erstens war in den fünfzehn Jahren meiner Ehe immer mein Mann der Musikexperte von uns beiden gewesen. Er hatte es für seine Aufgabe gehalten zu bestimmen, was wir mochten und was wir hörten. Bei jeder Dinnerparty entschied er, welcher Jazz aufgelegt wurde und wann. Der zweite Grund war, dass ich als gebürtige Mennonitin so wenig Kenntnis über die 1960er, 70er und 80er besaß, dass es für alle Beteiligten das Einfachste zu sein schien, wenn ich in Sachen Musik die Klappe hielt.
Es kam selten vor, dass ich unsere beeindruckende CD-Sammlung in ihrer alphabetisch geordneten Pracht aus der Nähe bewunderte. Meistens zog ich den Klang der Stille vor. Manchmal, beim Kochen oder Putzen, summte ich deutsche Kirchenlieder vor mich hin, aber nur ganz leise, weil Nick alles hasste, was mit Religion zu tun hatte. Außerdem wollte er, dass ich mich von meiner »hausbackenen Herkunft«, wie er es nannte, distanzierte. Doch ich koche und putze gern, und bei der Hausarbeit überkommt mich eben manchmal die Lust auf altmodische Melodien. Im College hatte mir eine gleichgesinnte Freundin einmal eine Andy-Griffith-CD mit alten Gospelliedern geschenkt. Ich versteckte sie in einem Topfhandschuh aus Silikon und hörte sie bei längeren Kochsitzungen, wenn Nick nicht zu Hause war. Geht es nur mir so, oder hat es etwas zutiefst Befriedigendes, zur Melodie von In the Sweet By and By Marmelade zu kochen? Armer Nick – ich hatte immer ein schlechtes Gewissen, dass ich so wenig Interesse für zeitgenössische Musik aufbrachte.
Daher hatte ich keine Ahnung, wovon der Hipster sprach, als er mit Bandnamen um sich warf. Ich hatte den Eindruck, dass er sich ein bisschen aufblies. Andererseits,
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