FJORD: Thriller (German Edition)
Kinder im Nebenraum nichts mitbekamen.
Odin ließ zu, dass Ann Christin seine Verletzungen versorgte. Sie hielt sich mit jeder weiteren Anschuldigung und Vermutung zurück, auch wenn es ihr schwerfiel.
16
Er wusste nicht, wo ihm der Kopf stand. Sein Pflichtbewusstsein als Polizist und damit verantwortlicher, leitender Ermittler verbot ihm, in emotionaler Weise über die Vorkommnisse nachzudenken. Er musste herausfinden, wer Liv Paulsen auf dem Gewissen hatte.
Tor Einar Hetland nahm die Kälte nicht wahr, die ihn innerlich und äußerlich umgab. Er spürte keinen Schmerz, keine Trauer, kein Bedauern. Er war blind für jedes Gefühl. Und er wusste, was er zu tun hatte.
Sein Gang führte ihn am Hotel vorbei zur alten Kneipe. Er stieß die Tür auf und trat in die Schankstube. Die Blicke richteten sich auf ihn. Die Gespräche verstummten. Zwei alte Fischer nickten ihm zu und vertieften sich dann wieder in ihr Bier.
Kristian Wahlstrom erhob sich von einem der Tische, an dem er Karten gespielt hatte, und ging zu Hetland. »Kann ich was für dich tun? Was zu trinken?«
Tor Einar schüttelte den Kopf. »Nicht im Dienst.« Er baute sich im Raum auf und wandte sich den Männern zu. »Ihr wisst es sicher schon. Liv ist tot. Sie wurde ermordet. Im Rahmen der Ermittlungen fordere ich alle, die eine persönliche Beziehung zu ihr gepflegt hatten, auf, unverzüglich mit mir zu kommen, um eine Aussage zu machen. Dasselbe gilt für alle, die sie in den letzten sieben Tagen gesehen haben.«
Niemand rührte sich. Betretenes Schweigen breitete sich aus, Blicke hefteten sich auf Tischplatten oder Gläsern fest.
»Ich muss euch wohl nicht daran erinnern, dass ihr verpflichtet seid auszusagen.« Hetlands Stimme hallte klar durch den rustikalen Raum.
Zwei Männer standen auf und gingen zur Tür.
»Halt, hiergeblieben!«, versuchte Hetland sie davon abzubringen. »Erst macht ihr eure Aussage!«
Ein Rentner am Nebentisch, der mit dem Wirt Karten gespielt hatte, drehte sich zu Hetland. »Junge … niemand hier wird zugeben, was mit ihr gehabt zu haben. Schon gar nicht vor dir.«
»Ich bin als Polizist im Einsatz«, erklärte Hetland ohne jegliche Gefühlsregung. »Und so habt ihr mir Rede und Antwort zu stehen, wenn es das Gesetz verlangt!«
»Dann hol erst mal das Gesetz her!«, meinte Sven Larsen, der als Raufbold und Tunichtgut ein besonderes Image im Dorf genoss, aus einer dunklen Ecke heraus. Er war oft an der Seite von Runar Mortensen zu sehen, wenn es irgendwo Ärger gab. Und wenn Larsen sich länger als zwei Stunden irgendwo aufhielt, gab es immer Ärger.
Larsen saß bereits seit dem Zusammenstoß mit Odin Dahl in der Kneipe. Runar hatte sich mit einer Flasche Schnaps nach Hause verzogen. Ihm stand momentan nicht der Sinn nach Gesellschaft. Danach wollten sie sich hier treffen und seine Frau und seine Tochter holen. Sie waren mit Sicherheit bei den Sommers. Das würde eine nette Abwechslung geben, hatte Larsen gemeint, denn freiwillig würden die sicher nicht mitkommen. Larsen vermutete inzwischen jedoch, Runar war besoffen eingeschlafen. Also musste er sich selbst Abwechslung verschaffen, bevor ihn gänzlich die Langeweile packte. Er stand auf und ging langsam auf Hetland zu.
Tor Einar ignorierte ihn. Er eilte zu den Männern an der Tür, die klammheimlich verschwinden wollten, und stieß die Tür zu, bevor sie aus der Kneipe waren. Mit dem Rücken stellte er sich davor. »Ihr macht erst eure Aussage. Dann dürft ihr gehen.«
»Hetland, das geht zu weit«, mischte sich der Wirt ein. »Du kannst nicht jeden unbescholtenen Bürger verdächtigen, nur weil dieses Luder nicht wusste, wann genug war.«
Hetland ballte die Fäuste. Die einzige Regung.
Larsen schenkte Hetland ein fieses, leicht angetrunken aussehendes Grinsen. »Und? Wie war sie bei dir so … im Bett?«
Der Wirt stellte sich ihm in den Weg. »Hör auf mit dem Unsinn, Larsen. Es reicht. Du hattest deinen Spaß.« Sven Larsen schlängelte sich an Wahlstrom vorbei und stoppte knapp vor Hetland, ihre Gesichter wenige Zentimeter voneinander entfernt.
»Du willst eine Aussage machen?«, fragte Hetland kalt.
»Na ja, wenn du so fragst … was genau willst du denn wissen? Wie wir es getrieben haben? Wo? Und wie oft?« Er riss die Hand wie zum Angriff hoch, verweilte eine Sekunde über seinem Kopf und kratzte sich dann am Schädel. Hetland hatte sich unter Kontrolle, ließ aber keine seiner Bewegungen aus den Augen. »Ja, wann war
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