FJORD: Thriller (German Edition)
lange genug gemacht.« Carl Morgan ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er zog die Stirn kraus und musterte den jungen Mann. »Na, wenn's dir so unter den Nägeln brennt … dann fang an und erzähl mal.«
»Was?«, fragte Hetland.
»Wann hast denn du sie das letzte Mal gesehen?«
»Ich?« Plötzlich wirkte der junge Mann nervös. »Vor drei Tagen.«
»Lange her«, meinte Morgan und ließ ihn keine Sekunde aus den Augen. »Wo war das?«
»Wo?« Hetland zögerte. »Das ist doch völlig unwichtig!«
»Findest du?« Morgan zuckte die Schultern. »Es könnte ja sein, dass wir bei eurem letzten Stelldichein Spuren finden, die zu ihrem Mörder führen.«
»Wieso sollte … « Hetland erstarrte. »Du glaubst wirklich – ich? Ich hätte was damit zu tun?«
»Wieso nicht? Immerhin warst du ihr Liebhaber, oder?«
»Aber deshalb ermorde ich sie doch nicht!«, rief Tor Einar und sprang auf. Einen Moment lang sah es aus, als wollte er auf Carl losgehen. Dann besann er sich wieder und fuhr sich durch die Haare. »Ich hätte keinen Grund dafür gehabt.«
»Seltsam«, meinte Carl. »Frisch verliebt. Drei Tage … ich kann mir nicht vorstellen, wie ihr das ausgehalten habt.«
»Hör auf!«, wiederholte Hetland noch aufgebrachter, schnappte sich seine Jacke und lief zur Tür. »Das muss ich mir nicht anhören!«
»Drei Tage, Hetland«, betonte Carl. »Gib zu, das würdest du selbst verdächtig finden.«
»Du spinnst!« Der junge Polizist riss wütend die Tür auf. Doch dann zögerte er, schien nachzudenken. Er schloss sie wieder und wandte sich Carl zu. »Also gut. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Wenn du es genau wissen willst: Wir haben uns gestritten, als ich sie das letzte Mal traf. Sie ist dann weggelaufen. Ich wollte ihr nicht nachhecheln wie ein junges Hündchen. Ich dachte, sie wäre nach Hause gegangen, zu ihren Eltern, aber anscheinend ist … ist sie nie dort angekommen.«
»Und worüber habt ihr euch gestritten?«
»Darüber möchte ich nicht reden. Nicht jetzt …«
13
Während er auf das neu erbaute Hotel zuschritt, wirkte Noah Sørensens Gestalt noch gebeugter als sonst. In diesem Gebäude hielt sich der Bürgermeister von Kongesanger die meiste Zeit des Tages über auf. Er hatte bereits seine Amtsgeschäfte hierhin verlegt. Es war ein Protzbau für die Gegend. Mit seinen vier Stockwerken überragte es sogar die kleine Kirche, die kaum einhundert Meter entfernt stand. Der scharlachrote Anstrich zog alle Blicke auf sich. Nicht ohne Spott waren im Zusammenhang mit dem Haus schon Begriffe wie »Stundenhotel« oder »Hurenhaus« gefallen, gerne auch im Hinblick auf die Tochter des Bürgermeisters, die an der Rezeption gearbeitet hatte – sofern sie neben ihren Hobbys Zeit und Lust dazu fand. Noah war es ein Rätsel, wie Magnus Paulsen eine Baugenehmigung für das Hotel bekommen hatte, obwohl er es sich andererseits gut vorstellen konnte.
Paulsen war der reichste Mann in Kongesanger. Das halbe Dorf gehörte ihm, mehr als zwei Drittel aller Bewohner standen bei ihm in Lohn und Brot oder waren als Zulieferer in der Pflicht. Es verwunderte nicht, dass die Bürger von Kongesanger ihn erneut zu ihrem politischem Oberhaupt wählten. Wen sonst hätte man nehmen sollen? Wer hätte Magnus etwas entgegenzusetzen gehabt? Er strotzte vor Ideen und hatte die nötigen finanziellen Mittel und Beziehungen, um den Bewohnern ein wirtschaftliches Überleben zu sichern. Ansonsten hätte man das Dorf längst aufgeben müssen. Er war an sich ein guter Bürgermeister, der auf das Wohl seiner Gemeinde achtete, ohne jedoch auf den eigenen Vorteil oder seinen Willen zu verzichten.
Freunde hatte die Familie nur wenige. Man blieb auf Distanz. Vielleicht lag es daran, dass die Paulsens immer sehr viel Einfluss in Kongesanger gehabt hatten. Und dass Magnus’ Vater nicht gerade zimperlich im Durchsetzen seiner Interessen gewesen war. Dennoch bezeichnete Noah Magnus als seinen Freund.
Magnus Paulsen und Carl Morgan verstanden sich hingegen nicht besonders gut. Sie waren in etwa im gleichen Alter und beide klassische Alphamännchen – der eine Leiter der örtlichen Polizei, der andere väterlicher Hüter seiner Herde. Carl war stets korrekt und hielt sich nach Punkt und Beistrich an die Gesetze und Vorschriften, während Magnus seinen Spielraum gerne freizügig interpretierte. So manches Mal hatte dies zu Querelen geführt, die an sich harmlos waren, aber immer für ein wenig Abwechslung im Ort gesorgt hatten. Schon
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