Flachskopf
auf den jungen Sünder.
»Und wann darfst du deine Erste Kommunion halten ?«
»Nächstes Jahr, so Gott will, Herr Bischof.«
Wieder ein prüfender Blick durch das Gitter.
»Und kommst du fleißig zum Religionsunterricht ?«
»So ziemlich, Herr Bischof.«
Aber nun wurde dieser »Bischof« dem Pater zu bunt. Fest überzeugt, daß der Bengel ihn zum besten hielt, trat er plötzlich aus dem Beichtstuhl, ergriff Flachskopf beim Kragen, erkannte in ihm den Knaben, der im Religionsunterricht von den Nieren erzählt hatte, und mit unsanftem Schwung flog Flachskopf mitten in seine wartenden Kameraden hinein. Tjeef fiel vom Stuhl und verrenkte sich die Hand. Fompe biß sich auf die Zunge, daß ihm die Tränen aus den Augen sprangen. Allgemeines Erstaunen! Flachskopf selbst wunderte sich am meisten von allen. Mit verstörtem Blick betrachtete er kurz den Beichtstuhl, worin der Pater wieder verschwunden war. Er wurde wahrhaftig nicht klug daraus.
»Warum ist er so bockig ?« fragte Fompe, und diese Frage brachte Flachskopf wieder zu sich.
»Das ist die Buße, die er heute auferlegt ,« antwortete er, »und wenn er fragt, ob du fleißig zum Religionsunterricht kommst, dann mußt du sagen: so ziemlich.« Aber die Bengel trauten der Sache nicht mehr. Einer nach dem andern rückten sie ab und nahmen vor dem Beichtstuhl des Pfarrers Platz, nur noch zwei Mädchen blieben sitzen. Der Pater wurde aus den Sichemer Jungen nicht klug, ebensowenig wie diese aus ihm.
A n diesem Morgen war es nun allmählich acht Uhr geworden. Sobald die Knaben die Tür der Sakristei aufgehen hörten und den schlürfenden Schritt des Pfarrers und das Ticken seines Stockes auf den Fliesen vernahmen, saßen sie alle wie unschuldige Lämmchen auf den Bänken vor dem Beichtstuhl des Vikars, wo der Religionsunterricht abgehalten wurde. Auf den drei ersten Bänken saßen die Knaben, auf den drei hintersten die Mädchen, und zwischen beiden Geschlechtern blieb eine Bank frei, um die erforderliche Trennungslinie deutlich zu machen. Münze kam langsam auf die Gruppe zu und setzte sich auf die kleine Bank, die vor den andern aufgestellt war. Erst ließ er seine Blicke über die kleine Schar gleiten, dann machte er die Augen zu und sagte: »Vater Unser .«
Alle zugleich fielen sie ein mit gleichmäßig lauter Stimme und im selben Ton. Dann folgte der Englische Gruß, das Apostolische Glaubensbekenntnis und die drei göttlichen Tugenden. Pfarrer Münze hörte mit geschlossenen Augen zu und öffnete sie nur, um jedesmal ein neues Gebet einzuleiten. Wenn die Mädchen manchmal zu laut quäkten, dann blickte er streng in diese Richtung, denn Münze liebte das Weibsvolk nicht.
Flachskopf saß immer auf der dritten Bank. Heute waren sie dort nur zu zweit. Dabbe an der einen Ecke und er an der andern. Während er mechanisch mitbetete, betrachteten seine Augen alles, was ringsum in der Kirche zu sehen war: den heiligen Sebastian, der so stolz und kriegerisch mit dem Bogen in der Hand über dem Altar stand; die ziemlich dicke heilige Filomena, rot und blau angemalt, mit starren Augen nach der Decke blickend, als ob dort etwas zu sehen gewesen wäre, worüber sie nicht hinwegkam; den heiligen Rochus, der seinem Hund ein nacktes Bein zeigte; den unschuldig dreinblickenden Gerardus Majella mit dem Jesuskind an seiner Seite; den heiligen Joseph, der mit einer Locke auf der Stirn so einfältig aussah, ebenfalls mit dem Jesuskind, und dann noch ein Jesuskind allein, das weich und rosig auf einem Büschel Stroh lag, mit ausgestreckten Ärmchen, als ob es auf den Arm genommen werden wollte, und das zu Weihnachten in die Krippe gelegt wurde. Flachskopf konnte nur nicht begreifen, daß die Mehrzahl dieser Heiligen Männer waren und trotzdem Röcke statt Hosen trugen. War es vielleicht damals so Mode gewesen? Bei vielen hätte man nicht einmal gewußt, ob es ein Mann oder eine Frau war, wenn der Name nicht druntergestanden hätte. Es waren doch wohl nicht lauter Geistliche? Er hatte früher einmal Heini gefragt, ob er es wüßte, und Heini hatte gesagt, daß im Himmel nur Röcke statt Hosen getragen würden, weil es vorteilhafter wäre. Flachskopf glaubte das nur halb und war überzeugt, daß noch etwas anderes dahinterstecken müsse.
»Gibt es mehr als einen Gott ?« fragte Pfarrer Münze den Tjeef. Niemand konnte so verdrehte Antworten geben wie Tjeef.
»Nee ,« antwortete er, »e-es g-gibt nur ei-einen einzigen«, und schüttelte dabei heftig den Kopf.
Da die Antwort
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