Flachskopf
aber daß er selbst es bestimmt nicht getan hätte. Zum Erstaunen aller hob Tjeef den Finger und stotterte mit stolzem Selbstbewußtsein: »Die So-so-sozialisten ver... verdammt !« Das letzte Wort war ihm ungewollt entschlüpft, und einige fingen an zu kichern. Der Pater sagte nicht nein dazu, und sein Schweigen ließ vermuten, daß die Sozialisten, wenn sie es nicht getan hätten, doch wenigstens imstande gewesen wären, es zu tun. Der Pater guckte Tjeef scharf an, und dieser erblickte darin eine Mißbilligung der »Sozialisten« oder des »verdammt«; und als ein Mädchen sagte, daß es die »bösen Leute« gewesen wären, da war diese Antwort scheinbar bedeutend richtiger. Tjeef warf dem Mädchen einen giftigen Blick zu.
Dann fragte der Pater Locke, was das »Gewissen« sei. Locke erhob sich, aber weiter kam er nicht; an seinem roten Gesicht konnte man deutlich sehen, daß er nie davon gehört hatte. Artur Leunes, der gewöhnlich alles wußte, sagte, daß es eine »abscheuliche Todsünde« sei, und er wollte noch etwas hinzufügen, aber da der Pater mit dem Kopf schüttelte, schwieg er. Ein Mädchen, das auch gefragt wurde, schlug ihre Schürze vors Gesicht und fing an zu weinen. Tjeef saß neben Flachskopf und biß in seine Mütze vor Angst, daß der Pater ihn fragen könnte, da er fast einen Kopf größer war als die andern. Flachskopf saß wie auf Kohlen. Er »fühlte«, was es war, aber fand nicht gleich den richtigen Ausdruck. Da guckte der Pater ihn an.
»Das Gewissen... das sind... das sind... die Nieren des Menschen .« Die Knaben wußten nicht, was sie über diese Antwort denken sollten, und beobachteten das Gesicht des Paters. Dieser mußte sich einen Augenblick Gewalt antun und fragte Flachskopf, was er damit sagen wollte.
»Nun ,« war die zögernde Antwort, »Sie haben doch in der Predigt gesagt, daß Gott den Menschen auf Herz und Nieren prüft... und ich dachte...«
Nun nickte der Pater mit voller Zustimmung. Es war wohl nicht ganz richtig, aber doch in einem gewissen Sinne, und Flachskopf hatte gut zugehört und gut behalten — kurz und gut, die Knaben waren überzeugt, daß Flachskopf es geraten hatte und daß das Gewissen in der Nähe der Nieren zu suchen sei. Er stieg gewaltig in ihrer Achtung.
Am zweiten Tag der Mission war auch eine besondere Predigt für die Kinder angesetzt worden. Hätte seine Mutter nicht so sehr darauf bestanden, daß er unbedingt hingehen müsse, dann wäre Flachskopf wahrscheinlich ohne Schwierigkeiten gegangen, aber da er nun wieder »mußte«, hatte die Sache für ihn jeden Reiz verloren, und er sträubte sich. Eine Predigt für Kinder zog ihn übrigens wenig an; er konnte im voraus raten, was es war. Wenn über das Jüngste Gericht und die Ewige Verdammnis gepredigt wurde, wobei es einen gruselte, daß man die Schenkel zusammenkneifen mußte, ja, da war es der Mühe wert.
Als er nach dieser Kinderpredigt mit einer Schramme im Gesicht und einem zerrissenen Hosenknie nach Hause kam, da hatte seine Mutter ihn mißtrauisch angesehen und gefragt:
»Nun, warst du auch in der Predigt ?«
»Wo sollte ich sonst gewesen sein ?« erwiderte Flachskopf entrüstet, »ich habe ganz still zugehört, weil es so schön war.«
»Worüber hat denn der Pater gepredigt ?« forschte seine Mutter weiter.
»Nun, über die Teufel und die Engel, über Unsere Liebe Frau und das Jesuskind und so... Das kann man doch nicht alles behalten... aber es war sehr schön .«
Seine Mutter ließ es dabei.
Wie es gekommen war, wußte niemand, aber unter den Knaben hatte sich die Meinung verbreitet, daß dieser Pater ein Bischof sei. Und das hatte für Flachskopf böse Folgen. Am Nachmittag desselben Tages, an dem der Pater Religionsunterricht erteilt hatte, mußten die Kinder, die ihre Erste Kommunion noch nicht gehalten hatten, zur Beichte gehen. Sie saßen natürlich alle vor dem Beichtstuhl des Paters, Flachskopf als erster, weil er am Morgen geraten hatte, was das Gewissen sei. Als der Pater sich eingefunden hatte, fing Flachskopf gleich an, die Sünden seines ganzen Lebens zu bekennen; alle seine Streiche und Schelmereien kamen »samt ihrer Zahl und den notwendigen Umständen« an die Reihe, und es hätte vielleicht noch lange gedauert, wenn nicht der Beichtvater plötzlich gefragt hätte:
»Wie alt bist du, mein Junge ?«
»Neun Jahre, Herr Bischof«, flüsterte Flachskopf.
Der Pater schwieg einen Augenblick und blickte wegen dieses »Bischofs« mit scharfen Augen durch das Gitter
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