Flachskopf
und weggeworfen hatte. Die Strafe in der Schule war nach seiner Meinung ausreichend gewesen, und Fompe urteilte, daß es angebracht sei, seinen Vater mit dieser Geschichte nicht zu belästigen.
Jetzt schritten sie hinter dem Lehrer in den Schulraum, suchten ihre Plätze auf und waren ziemlich laut, da sie sofort bemerkt hatten, daß der Lehrer heute seinen guten Tag hatte. Nur Fompe war anfänglich ruhig, um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Der Lehrer hatte öfters solche Launen. Den einen Tag schien er ganz vergessen zu haben, daß er Lehrer sei, und die Knaben trieben es so bunt, daß sie bald die ganze Schule einzureißen drohten. Am nächsten Tag hätte er jemand halbtot geschlagen wegen der lumpigsten Kleinigkeit. Es war wiederholt vorgekommen, daß er einen Schuljungen so zugerichtet hatte, daß die Eltern sich beschwerten und drohten, sich an den Minister oder an den König zu wenden. Was den Lehrer dazu veranlaßte, den einen Tag so und am nächsten Tag wieder anders gelaunt zu sein, blieb ein Rätsel.
Nach dem Gebet nahm er Karl Frommes »Vaterländische Geschichte« zur Hand, schlug das Buch auf gut Glück auf und sagte: »Lernt die zwei ersten Seiten über das Lehnswesen .« Dann reichte er Karl das Buch zurück. Sein abwesender Blick glitt flüchtig über die Köpfe; und da Fompe, halb versteckt hinter Mul Tümmers Rücken, ihn mit scheuem Blick verfolgte, erinnerte er sich plötzlich und fragte halb lächelnd:
»Nun, Fompe, was hat dein Vater zu dem Briefchen gesagt ?«
Alle hoben gespannt den Kopf. Da der Lehrer »Fompe« gesagt hatte, wußte dieser, daß ihm kein Unheil drohte. »Er... er mußte lachen, Herr Lehrer«, antwortete er mit unsicherer Stimme.
Und über die Antwort mußte der Lehrer nun auch lachen; denn er las ganz deutlich in Fompes Augen, daß er das Briefchen nicht abgeliefert hatte. Er konnte von Glück reden, daß der Lehrer heute so guter Laune war! Die ganze Klasse lachte, weil der Lehrer gelacht hatte. Eigentlich hätten sie es ergötzlicher gefunden, wenn Fompe noch einmal verprügelt worden wäre.
Der Lehrer stellte sich hinter sein Pult und fing an, irgend etwas zu lesen. Seine Gedanken waren nicht mehr in der Schule. Die Knaben schlugen ihre »Vaterländische Geschichte« auf, pflanzten die Ellbogen aufs Pult, schoben den Kopf zwischen beide Fäuste und studierten, als ob sie sich die Geschichte des Mittelalters fürs ganze Leben einprägen wollten. Sie murmelten halblaut den Text des Buches. Das war so Mode. Auch wechselte dieser und jener seinen Platz, und Tjeef hatte sich neben Flachskopf gesetzt. An solchen Tagen kam es nicht so genau drauf an.
Es gab aber nicht viele, die bei dem Studium beharrten. Sie wußten, daß der Lehrer das Kapitel nur aufgegeben hatte, um sie zu beschäftigen, und wenn er zum Schluß darüber fragte, dann kamen höchstens die Knaben auf der ersten Bank dran.
Mul Tümmer war mit dem Kopf auf dem Pult eingeschlafen. Fix Knut, der gerade hinter Flachskopf saß, flocht eine Schnur, Petik Lange und Paul Fuchs unterhielten sich über Tauben, Tjeef zeichnete auf dem Umschlag seines Schreibheftes eine Kanone, und Flachskopf unterstützte ihn dabei mit guten Ratschlägen. Bei dieser anstrengenden Arbeit guckte Tjeefs Zunge halb zum Munde heraus und bog sich um die Oberlippe; bei ganz schwierigen Stellen schob sie sich von rechts nach links.
Eine Viertelstunde lang war alles ruhig. Man hörte nur das Gemurmel derer, die sich tapfer auf das Lehnswesen stürzten, das Scharren eines Holzschuhes unter den Bänken und ab und zu ein leises Flüstern.
Fopke Naets summte das Lied vom Lehrer, das der Schuljugend seit Jahr und Tag bekannt war:
»Ziegenbart — huhuhu,
Gar nicht zart — huhuhu,
Langer Stecken — huhuhu,
Kannst verrecken — huhuhu«,
und das »huhuhu« wurde von einzelnen mitgebrummt. Flachskopf fragte Tjeef flüsternd: »Wo ist Dabbe ?«
Dries vom Weidenhof, der sich umgedreht hatte, um sich mit Tjeef und Flachskopf zu unterhalten, antwortete: »Er ist krank, er hat ein dickes Ohr, wie ich gehört habe .«
Alle drei beneideten Dabbe. Lieber ein dickes Ohr, als hier in der langweiligen Schule zu sitzen!
»Das habe ich voriges Jahr auch gehabt ,« sagte Flachskopf, »und da bekam ich gute Milch und Kandiszucker.«
»Ich täte sonst was, um auch krank zu sein !« seufzte Dries mit betrübter Miene.
»N... nun ,« stotterte Tjeef, »ich ha... habe hier eine Z... Z... Zwiebel, und wenn du d... die unter d... deinen Arm
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