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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Claes
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waren sie dann immer zeitig in der Kirche und brannten auch öfters eine Kerze an, bis sie genügend kurz geworden war, um ihr Eigentum werden zu können. Maria, Antonius und Viktorius hätten dann reichlich ihren Anteil gehabt, so urteilten die Knaben, und die drei Heiligen werden wahrscheinlich derselben Meinung gewesen sein. Das Kerzengeschäft führte gelegentlich zu kleinen Zusammenstößen mit dem Küster, der diese Kerzenstummel als einen Teil seines Einkommens betrachtete, und untereinander wurde oft darum gekämpft. Die Kerzen dienten hauptsächlich dazu, um geknetet zu werden, bis man allerlei Figuren daraus machen konnte, genau wie aus Kitt, bloß daß die Masse besser zusammenhielt als Kitt.
    Anfang Oktober dieses Jahres wurde die heilige Mission gepredigt, und Flachskopf mußte eifrig die Predigten besuchen, die abends stattfanden. Das Licht der Lampen hüllte dann die ganze Kirche in eine geheimnisvolle Dämmerung; hinter den Pfeilern, in den Seitenschiffen und oben im Hauptgewölbe war es fast völlig dunkel. Man erkannte nur die Gesichter der Leute, die unmittelbar unter den Lampen saßen. Die Frauen mit ihren schwarzen Kapuzenmänteln und die Männer hinten in der Kirche sahen aus wie Gespenster. Die Lampen hingen wie einsame rote Dinge im leeren Kirchenraum. Als dann der Pater Redemptorist über den Tod, die Hölle, das Fegefeuer und den Himmel zu predigen anfing, mit einer Stimme, die die Heiligen auf ihren Sockeln an den Pfeilern zum Schaudern bringen konnte, — Kreuzdonnerwetter! wie oft hat es Flachskopf da gegruselt bis ins Mark seiner Knochen! Am Abend nach der Predigt über die Hölle ließ er unterwegs seines Vaters Hand nicht los, drehte nicht ein einziges Mal den Kopf zur Seite und sprach kein Wort. Er hatte das Feuer greifbar vor sich gesehen. Bevor er einschlief, betete er noch eine ganze Reihe von Vaterunsern, nachts litt er an Alpdrücken; und als er an die Uhr dachte, die irgendwo in der Hölle an der Wand hängt und bei jedem Ticktack ruft: »Im—mer... im—mer«, da stiegen ihm die Haare zu Berge. Daß der Herrgott so ganz genau alles wußte, was man dachte und tat, das hielt Flachskopf für eine Gemeinheit, die dazu geeignet war, ihn nicht einen Augenblick zur Ruhe kommen zu lassen. Denn ein Mensch, vor allem ein Junge seiner Art, überlegte sich doch nicht immer alles vorher, was er tat. Das kam so ganz von alleine... In diesem Augenblick war Flachskopf davon überzeugt, daß er ein fürchterlicher Sünder sei. Als der Pater über den Himmel gepredigt hatte, bekam Flachskopf sofort ein unendliches Verlangen nach der ewigen Seligkeit. Er sah sich bereits im Himmel, mit Flügeln an den Schultern, in einem schönen roten oder blauen Kleid, und vielleicht waren Tjeef, Dabbe und die anderen Kameraden auch da... Wenn nur der Lehrer nicht in den Himmel käme, und für Väter und Mütter würde es wohl einen anderen Himmel geben, einen viel ernsteren... Ewig vor dem Angesicht Gottes sitzen und Liedchen singen, das hatte der Pater wohl nicht so wörtlich gemeint, denn das würde doch auf die Dauer langweilig werden... Nach dieser trostreichen und erbauenden Predigt war die Hölle vollkommen vergessen. Und als sie wieder zu Hause waren, hatte Flachskopf plötzlich mit verlegener Miene zu seiner Mutter gesagt, daß er auch gerne Pater werden möchte. Seine Mutter erschrak förmlich, und sein Vater brummte:
    »Du wärst mir der richtige Pater, du !« , und damit war Flachskopfs geistliche Berufung erledigt. Was ihn zu diesem plötzlichen Entschluß geführt hatte, war einerseits das Verlangen, mit voller Gewißheit in den Himmel zu kommen — als Pater war man dessen sicher —, und anderseits der Wunsch, auch auf der Kanzel zu stehen und mit einer Donnerstimme Hölle und Fegefeuer auf die Einwohner von Sichem loszulassen, genau so wie der Pater, nein, noch viel schlimmer.

    Während der Mission hatte auch einmal der Pater Religionsunterricht gegeben. Das war höchst interessant gewesen. Er hatte ihnen von einer ganzen Reihe von Dingen gesprochen und erzählt, über die sie bei Münze nie etwas gehört hatten. Was hatte dieser Pater nicht alles erlebt und persönlich erfahren! Er stellte auch einzelne Fragen. Er fragte Lewieke Tute, wer unseren Herrgott ans Kreuz genagelt hätte. Lewieke glaubte, daß der Pater mit Absicht diese Frage an ihn gerichtet und dabei eine besonders strenge Miene gemacht hätte. Das machte ihn ganz verwirrt, und er antwortete stammelnd, daß er es nicht wüßte,

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