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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Claes
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erinnerte er sich plötzlich an Jan Breydels Arme; er krempelte die Hemdärmel hoch, um zu sehen, ob sich bei ihm auch die Muskeln »wie Taue über die Arme spannten«, wie bei Jan. Die blauen Adern seiner mageren Arme schienen Flachskopf nur schwache »Muskeln« neben denen des starken Fleischermeisters von Brügge, aber sie waren doch vorhanden, und Flachskopf spürte eine stolze Freude über die Ähnlichkeit. Jan Breydel wird als Kind wohl auch nicht so ein Herkules gewesen sein wie später. Den hätte er als Schulkameraden haben mögen...
    Er arbeitete weiter an seinem Sparren.
    Max, der vor seiner Hütte in der Sonne lag und Flachskopf von weitem beobachtete, kam heran und setzte sich einige Schritte entfernt, aus Ehrfurcht vor dem langen Stock.
    »Max, mein lieber ,« sagte Flachskopf, »wir werden mal zeigen, daß es noch Flamen gibt!«
    Max guckte mit schiefgeneigtem Kopf, das linke Ohr halb über seinem Auge, neugierig zu.
    Flachskopf versah den Sparren mit einer scharfen Spitze, und der »Morgenstern« war fertig.
    Er erhob sich, die Waffe in der Hand. Der Deckel des Futterkessels, der neben der Wassertonne lag, war sein Schild, und er drückte ihn mit dem linken Arm fest an die Brust. Dann warf er so herausfordernde Blicke um sich, daß Max vorsichtshalber einige Schritte zurückwich. So hätte Flachskopf auf dem Groeningerfeld gestanden, und vor keinem Franzosen wäre er um einen Fuß gewichen. Gestützt auf seinen Speer, nahm er die Haltung sämtlicher Helden an, die ihm einfielen; er versuchte auch einmal, das eine Auge zu schließen wie Pieter de Coninck, aber er zog doch Jan Breydel vor, der viel kräftiger war.

    Flachskopf bemerkte plötzlich, gegen eine Weißdornhecke gelehnt, etwa zehn Meter weiter, ein verlassenes Strohbündel. Er warf sich in Positur, hielt den Speer fest unter den Arm geklemmt und stürmte darauf los, rufend, daß man es weithin hören konnte: »Vlaanderen den Leeuw! Wat walsch is valsch is, slaat al dood !«
    Max glaubte nun auch halbwegs zu begreifen, sprang neben ihm her, und kurz vor dem Feind warf er sich so ungestüm auf Flachskopf, daß der Speer das Strohbündel verfehlte und Flachskopf mit solcher Gewalt kopfüber in die Dornhecke stürzte, daß er bis an seinen Hals drinsteckte. Er gab einen Schrei von sich, der noch viel lauter war als sein flämischer Kampfruf von vorhin. Als er jammernd den Kopf aus der Hecke zurückgezogen hatte, waren sein Gesicht, seine Ohren und sein Hals so zerkratzt und blutig geschunden, und er machte ein so erbärmliches Gesicht, als wäre das ganze französische Heer von 1302 über ihn hinweggebraust. Max, der beinahe den Speer durch die Rippen bekommen hätte, glaubte noch nicht, daß das Spiel zu Ende wäre, nahm den »Morgenstern« zwischen die Zähne und lief damit durch den ganzen Obstgarten.
    Die Mutter, die gerade in der Kammer die Betten machte, hörte das Schreien ihres Sohnes und kam angelaufen, um zu sehen, was los wäre.
    »Hat der Hund dich gebissen ?« rief sie erschrocken, als sie ihn blutüberströmt neben der Dornhecke stehen sah. »N... nein ,« schluchzte Flachskopf, »i... in... die... Hecke... ge... fal... len...«
    Die Mutter betrachtete verwundert erst sein Gesicht und dann die Hecke.
    »Wie geht denn das zu... ?«
    »Das... das... Bündel Stroh... war... ein... Fr... Franzose... und... und...« Rechtzeitig überlegte er sich, daß seine Mutter den »Löwen von Flandern« nicht kannte.
    Die Mutter glaubte diesmal wahrhaftig, daß bei ihrem jüngsten Sohn nicht alles in Ordnung wäre, und mitleidig nahm sie ihn bei der Hand.
    »Komm, mein Junge ,« sagte sie, »ich werde dein Gesicht mal ein wenig abwaschen.«
    Sie holte einen Eimer Wasser aus dem Brunnen und half ihm, sein blutbeschmiertes Gesicht reinzuwaschen. Das kalte Wasser machte Flachskopfs Weinen ein Ende und kühlte in hohem Maße seine flämische Vaterlandsliebe.
    Abends kochte die Mutter für Flachskopf eine Schüssel Milchbrei. Als er zu Bett ging, deckte sie ihn sorgsam zu. Flachskopf war höchst erstaunt und konnte sich nicht erklären, aus welchem Grunde ihm so plötzlich diese ungewöhnlich sanfte Behandlung zuteil wurde. »Wenn unser Lewie uns bloß nicht noch große Sorgen macht«, sagte die Mutter nach dem Abendessen mit ernster, etwas mitleidsvoller Stimme.
    »Ja ,« sagte Heini, »die letzten Tage habe ich ihn wiederholt mit den Armen in der Luft herumfuchteln sehen... und andauernd hält er laute Selbstgespräche...«
    »Ach ,« brummte der

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