Flagge im Sturm
ich mich für dein Mitgefühl“, versicherte sie, „doch ich will dich nicht länger belästigen. Es ist sehr großzügig von dir, mir dein Haus zu öffnen, doch zu viel auf Nantasket erfordert meine Anwesenheit dort. Bitte, richte Evelyn meine Grüße aus. Nein, nein, bleibe nur sitzen. Ich finde allein hinaus.“
Sofort sprang Roger auf. „Demaris, bitte, überlege es dir noch einmal. Bleibe wenigstens heute Abend bei uns und iss mit uns. Denke doch an die Gefahr, der du dich da draußen allein auf deiner Farm aussetzt!“
„Nein, Roger, das geht wirklich nicht, jedenfalls nicht heute Abend, wo doch ...“ Beinahe hätte sie gesagt, wo doch Jonathan wartet. „... wo doch Evelyn völlig unvorbereitet wäre“, setzte sie ihren Satz fort. „Nächste Woche, am Zweiten Tag, komme ich gern, wenn es dir genehm ist. “
Roger vollführte eine Verbeugung. „So sei es, Demaris. Wir würden uns geehrt fühlen.“
Unterdessen war Demaris schon zur Tür hinaus verschwunden, und durchs Fenster sah Roger sie mit wehendem Umhang die Straße entlangeilen. Er hätte geschworen, sie hatte kurz davor gestanden, bei ihm in Newport zu bleiben, sich doch noch im letzten Moment anders entschieden.
Nun ja, dann musste er es eben noch einmal versuchen. Er würde Evelyn noch weitere Schauergeschichten „anvertrauen“ müssen, die sie dann seiner Schwägerin brühwarm weitererzählen konnte, wenn diese zum Dinner kam.
Vielleicht sollte er auch einmal ein ganz unverfängliches Gespräch mit den Quäker-Oberen führen und versuchen, Demaris auf diesem Umweg nach Newport zu locken. Und falls alle Stricke reißen sollten, dann musste er eben einen zweiten Mann nach Nantasket schicken, der dann wirklich rau vorgehen und alles unternehmen sollte, was nötig war, um Demaris’ Entscheidung zu ändern.
Roger blickte auf seine sinnlosen Kritzeleien hinunter, die er aufs Papier geworfen hatte, während Demaris Sam Hull beschrieb. Er knüllte das nutzlose Papier zusammen und warf es ins Feuer.
Demaris Allyn war ein merkwürdiges, unberechenbares Geschöpf ohne alle die Vorzüge, die er an Frauen so schätzte. Dennoch war sie letzten Endes auch nur eine Frau, und er bezweifelte keinen Augenblick, dass sie sich zum Schluss seinen Wünschen beugen würde.
Den Holzkrug noch halbvoll vor sich auf dem Tisch, saß Jonathan im hintersten Winkel der Taverne. Es war vielleicht feige gewesen, Demaris nicht zu begleiten, doch Richter und Anzeigen gegen Eindringlinge - nein, das wäre denn doch zu riskant gewesen.
Deswegen hatte er sich lieber eine Taverne gesucht, in der einfache Seeleute bedient wurden. Mit seinem Zweitagebart und den abgetragenen Kleidern, die Daniel ihm besorgt hatte, würde ihn hier wohl niemand erkennen.
Aus reiner Gewohnheit hatte er sich einen Platz mit dem Rücken zur Wand und gutem Ausblick auf die Eingangstür gesucht, damit er jederzeit zur Flucht oder zum Kampf bereit wäre. Ebenfalls aus reiner Gewohnheit hätte er Letzteres vorgezogen, auch mit seinem kranken Bein.
Obwohl Demaris ihm ausdrücklich verboten hatte, die Muskete mitzunehmen, wäre sie über sein bereitwilliges Einverständnis wohl weniger glücklich gewesen, wenn sie etwas von dem Messer in seinem Stiefelschaft gewusst hätte.
Steif und stolz hatte sie heute neben ihm auf dem Weg in die Stadt auf der Kutschbank gesessen. Überhaupt hatte sie in den letzten beiden Tagen mit ihm nur das Allernötigste gesprochen. Trotzdem hatte er bemerkt, dass sie ihn ständig mit einem Interesse beobachtete, das alles andere als keusch war. Sie war ja schließlich nur eine Quäkerin und keine Nonne. Das hatte schon der erste Kuss in jener Nacht bewiesen. Jonathan wünschte nur, sie würde ebenso leiden wie er.
Abgesehen davon bezweifelte er nicht, dass es noch weitere Gründe für ihr Schweigen gab, solche, die sie nicht eingestehen wollte. Und das machte ihm die selbst auferlegte Aufgabe, über sie zu wachen, nicht eben einfacher.
Ihm war aufgefallen, dass es auf Nantasket viele Rätsel gab. So war beispielsweise fast alles im Haus importiert, vom Küchengeschirr bis zu den Wohnzimmermöbeln. Offensichtlich hatte Ebenezer Allyn Komfort geschätzt. Die Farm selbst lag dagegen fast brach, und die Weiden waren schon jahrelang nicht mehr genutzt worden.
Woher hatte der alte Eben dann das Geld genommen, um sich all die Luxusgüter aus London kommen zu lassen?
Auch hatte Ebens Tod dessen Witwe nicht in Armut gestürzt. Vielleicht verstand sie wirklich nicht Viel von
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