Flagge im Sturm
gerettet, ohne Fragen zu stellen. Wie konnte er da einfach fortgehen und sie ihrem Schicksal überlassen?
„Ich komme mit Euch nach Newport“, erklärte er, bevor er es sich anders überlegen konnte. „Ich will nicht, dass Ihr allein seid, bis diese Sache erledigt ist.“
Demaris blickte streng zu ihm hoch, ohne den Kopf zu heben. „Ich benötige Euch nicht zu meinem Schutz.“
„Irrtum, gute Frau“, widersprach er. „Ihr benötigt mich sehr wohl, und ich komme mit.“
Roger lehnte sich auf seinem Ledersessel nach vorn, legte seine Hände vor sich auf dem Schreibtisch zusammen und hörte sich an, wie Demaris den üblen Seemann beschrieb, der sie bedroht hatte. Roger machte ein überaus besorgtes Gesicht, nickte, schüttelte den Kopf und stellte die angezeigten Fragen, doch im Stillen wuchs seine Befriedigung mit jedem Wort, das seine Schwägerin vortrug.
Nachdem Sam Hull nicht zurückgekommen war, um die zweite Hälfte seiner versprochenen zehn Schillinge abzuholen, hatte Roger angenommen, der Seemann hätte es sich anders überlegt und wäre mit dem sicheren Geld in der Tasche verschwunden. Nun sah es allerdings so aus, als hätte der Mann gute Arbeit geleistet. Ebens dumme Quäkergattin war hilfesuchend nach Newport gelaufen gekommen. Zwar war ihr nicht direkt etwas geschehen, doch sie war unruhig geworden und fürchtete sich. Roger hätte gar nicht zufriedener sein können.
„Und so hast du also den Schurken ganz allein von deinem Grund und Boden gejagt?“ Er tat angemessen empört, „Schon der Gedanke, dass eine Dame sich selbst verteidigen muss, ist mir unerträglich! “
Demaris errötete tief und blickte verlegen auf ihre im Schoß zusammengelegten Hände hinunter.
O ja, dachte Roger, die Angelegenheit muss tatsächlich furchtbar für sie gewesen sein. Schuldbewusst sprach er ein wenig sanfter weiter. „Wenn es dir zu schmerzlich ist, darüber zu sprechen ... “
„Roger, du bist die Güte selbst“, sagte Demaris leise. Wie hätte sie auch die Geschichte zu Ende erzählen sollen, ohne Jonathan zu erwähnen? Ein paarmal hätte sie ja beinahe schon seinen Namen genannt, und es war sehr anstrengend, sich jedes Wort genau zu überlegen, bevor sie es aussprach.
Sich an Roger zu wenden, war von Anfang an ein Fehler gewesen, und überhaupt war an allem Jonathan schuld. Hätte er sich nicht so wegen der Muskete angestellt, dann hätte sie jetzt auch keine Anzeige erstatten müssen. Ja, er hatte sie dazu getrieben. Jetzt würde es auf Nantasket nur so wimmeln von Rogers Zollfahndern, und das war allein Jonathans Schuld.
„Schon gut, meine Liebe, du hast mir genug berichtet“, versicherte Roger. „Ich dränge dich nicht weiter.“ Er nahm ein Blatt Papier aus dem Pult und schrieb eilig und lange. Erleichtert sank Demaris auf ihrem Sessel zurück.
Seufzend warf Roger schließlich die Feder zur Seite und schüttelte den Kopf. „Mir sind die Hände gebunden, Schwägerin. Dass dieses Verbrechen auf Allyns Land ungesühnt bleiben soll, quält mich über die Maßen, doch mir stehen weder Männer noch Mittel zur Verfügung.“
„Evelyn erzählte doch, du habest eine Sonderpatrouille im Einsatz“, sagte sie erstaunt.
Mit finsterem Blick verschränkte Roger die Arme über seiner spitzenbesetzten Hemdbrust. „Dann hat meine sehr verehrte Gemahlin sich wohl ein wenig voreilig geäußert. Ich würde ja gern diesen Gesetzesbrechern ein Ende bereiten, die unser Land und unser Meer ausrauben, doch der Gouverneur sieht das leider anders.“
So, dachte er zufrieden, das sollte genügen. Demaris blickte jetzt wie ein aufgescheuchtes Reh drein. „Wie gesagt, mir sind die Hände gebunden.“
„Dann wirst du also nichts unternehmen?“, fragte sie mit zitternder, merkwürdig hoher Stimme. Du lieber Himmel, so viel Glück hatte sie ja gar nicht erwartet! „Du wirst also niemanden nach Nantasket schicken?“
Sorgenvoll schüttelte Roger den gesenkten Kopf, sodass die langen Locken seiner Perücke über die Schreibtischplatte fegten. „Ich kann es nicht, Demaris, so peinlich es mir ist, das zuzugeben. Ich kann dir jedoch hier in meinem Haus einen sicheren Zufluchtsort bieten, wenn du nur Evelyn und mich beehren wolltest... “
„O nein, Roger. Das wird nicht nötig sein“, wehrte Demaris ab, stand auf und band sich ihren Umhang wieder unter dem Kinn zusammen. Sie konnte es gar nicht erwarten, dem am Hafen mit den Pferden wartenden Jonathan von der guten Wendung zu berichten.
„Natürlich bedanke
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