Flagge im Sturm
seinen
Geschäften, doch offensichtlich lebte sie ganz gut davon. Als sie vorhin die Pferde im Mietstall unterstellte, hatte Jonathan den kleinen, allerdings schweren Geldbeutel in ihrer Tasche gesehen. Farmer jedoch betrieben Tauschhandel, sie verkauften ihre Ernten nicht gegen klingende Münze, schon gar nicht, wenn diese Ernten gar nicht existierten.
Auf der anderen Seite des Schankraums hieb ein großer Mann, der zu viel getrunken hatte, seinen Krug auf die Tischplatte. „Und ich sage dir, du räudiger Hund“, brüllte er, „Kapitän Graham behandelt seine Männer gut und gerecht! Lass dich bei uns anheuern, und zwei Wochen später tanzen alle hübschen Weiber nach deiner Flöte, und deine Taschen sind voll spanischem und französischem Gold!“
Der Gefährte des Sprechers zuckte nur die Schultern und klopfte seine Pfeife an der Tischkante aus. „Spar dir deine Loblieder und deine Versprechungen. Bevor ich gegen irgendwelche Spanier oder Franzosen antrete, will ich mir erst einmal das Schiff ansehen. Diese Schaluppe, diese ,Tiger“, ist ohne jede Mannschaft aus dem Nichts aufgetaucht, und niemand kann sich für ihre Tüchtigkeit verbürgen. Und was ist mit der jetzigen Besatzung? Ich diene nicht zusammen mit goldgierigen Landratten. “
Jonathan hatte genug. Freibeuter und Piraten - sie unterschieden sich nur durch einen königlichen Freibrief, und in seiner gegenwärtigen Verfassung war sein Gewissen schon zu beladen, als dass er sich den Streit der beiden Seeleute noch länger mit anhören wollte. Rasch trank er seinen Rum aus und warf der pockennarbigen Schankmagd eine Münze hin.
Demaris fand ihn auf dem Stallhof, wo er geistesabwesend das Maul eines ihrer Braunen streichelte. Sein Gesicht unter dem breitrandigen Filzhut schien finster, und seine Gedanken befanden sich offenkundig in weiter Ferne.
Demaris kam es so vor, als wäre Jonathans und ihre Stimmung in das jeweilige Gegenteil umgeschlagen. Während sie selbst vor Erleichterung beinahe übermütig war, schien sich Jonathan in sich selbst zurückgezogen zu haben. Möglicherweise lag das am Rum, von dem sein Atem deutlich zeugte. Alkohol hatte Eben immer trübsinnig gemacht, und vielleicht ging es Jonathan ja auch so.
Sie konnte sich einen abschätzigen Seitenblick nicht verkneifen, als er auf sie zukam. Obwohl sie schließlich davon profitierte, hatte sie es noch niemals begreifen können, weshalb sonst verständige Männer sich mit solchem scharfen Zeug vergifteten.
Schweigend hob Jonathan Demaris auf den Kutschsitz und nahm neben ihr Platz. Er lenkte die Pferde geschickt durch die belebten Straßen, und nachdem sie die einzige und holprige Landstraße nach Nantasket erreicht hatten, ließ er Royal und Puck die Zügel schießen.
Demaris hielt sich absichtlich an der Kutschbank und nicht an Jonathan fest, während der zweirädrige Wagen viel schneller, als Caleb oder Daniel es jemals gewagt hätten, über den unebenen Boden rumpelte. Falls jetzt die Achse oder ein Rad bricht, dachte sie, dann sind wir auf der Stelle tot.
Doch mit dem Wind im Gesicht, dem wolkenlosen Himmel hoch oben und dem blitzblauen Sünd im Süden fand sie es unmöglich, etwas anderes als reine Lebensfreude zu empfinden. Verstohlen schaute sie zu Jonathan hoch und wünschte sich, er wäre heute ein wenig umgänglicher.
„Möchtet Ihr etwas sagen, Demaris?“, fragte er, ohne den Blick von der Straße und den Pferden zu wenden. Die Fahrt hatte seine Stimmung ebenfalls gehoben, wozu natürlich beitrug, dass Demaris neben ihm so hübsch zerknirscht aussah.
Verlegen senkte sie den Kopf, biss sich auf die Unterlippe und überlegte, ob sie sich jetzt bei Jonathan entschuldigen sollte. Ihr war klar, dass sie wegen dieser elenden Muskete ihm gegenüber in den letzten Tagen reichlich unleidlich gewesen war. Sie wusste indessen nicht, wie sie das wieder einrenken sollte.
„Ein schöner Tag, nicht wahr?“
„In der Tat“, stimmte er zu. „Der Schöpfer hätte keinen schöneren machen können. “
„Das ist wahr. “ Demaris wünschte, sie verstünde mehr von der Kunst der Konversation. Komisch, wenn Jonathan sie erzürnte, musste sie nie nach Worten suchen.
„Möchtet Ihr mir sonst noch etwas erzählen?“ Er hoffte, sie würde ihm vielleicht berichten, wie die Unterredung mit ihrem Schwager verlaufen war, doch Demaris schüttelte nur den Kopf. Auch gut, dachte er, für Fragen haben wir später noch genügend Zeit.
„Dann hängt Ihr also Euren eigenen Gedanken
Weitere Kostenlose Bücher