Flagge im Sturm
nach, ja?“, vermutete er. „Nun, dagegen ist nichts einzuwenden, es sei denn, Ihr denkt noch immer darüber nach, wie Ihr mich mit Ebens alter Muskete ins Jenseits befördern könnt. So etwas könnte ich heute an diesem schönen Tag nämlich nicht ertragen.“
„Nein, Jonathan, glaubt doch nicht, ich wollte Euch Böses!“, rief sie entsetzt und wandte sich zu ihm um. Da sah sie, dass es um seine Mundwinkel zuckte und dass er Mühe hatte, nicht loszulachen. Wenn er sie neckte, dann war er ja gar nicht böse mit ihr! Roger schickte keine Soldaten nach Nantasket, und Jonathan mochte sie noch gern genug, um sie zu necken! Demaris legte den Kopf in den Nacken und lachte laut, übermütig und fröhlich.
Für einen Moment starrte Jonathan sie nur an. Überrascht stellte er fest, dass er sie in diesem Augenblick zum ersten Mal richtig lachen hörte, und das klang einfach zauberhaft. Sie sah um Jahre jünger und unglaublich hübsch aus, ihre blauen Augen funkelten, und ihre Wangen waren vom Wind gerötet.
Jonathan fiel glücklich in ihr Lachen mit ein. Dass Demaris einmal ihre sonst übliche Ernsthaftigkeit vergaß, war für ihn ein großartiges, unerwartetes Geschenk, und er fragte sich, ob sie jetzt auch die plötzliche Veränderung in ihrer Beziehung erkannte.
Schweigend fuhren sie weiter. Keiner von ihnen wollte die Stimmung durch Worte zerstören. Auf einem kleinen Hügel, den ein paar windzerzauste Kiefern krönten, brachte Jonathan die Pferde zum Stehen. Fragend schaute Demaris ihn an.
„Hinunter mit Euch!“, befahl er gespielt ernst. „Los, ich will Euch dort drüben beim Gagelstrauch sehen.“
„Warum denn das?“, fragte sie mit trotzig erhobenem Kinn, doch noch immer lächelnd. „Wir sind noch meilenweit von meinem Haus entfernt, und ich kann mir keinen vernünftigen Grund denken, weshalb Ihr mich hier mitten in der Landschaft aussetzen wollt.“
„Demaris, bitte! Wenn ich Euch bisher nicht ermordet habe, werde ich es wohl auch nicht jetzt und hier am helllichten Tag direkt neben der Straße tun“, erklärte er geduldig. „Nun geht schön und wartet auf mich. Haltet Euch entweder, die Augen zu oder kehrt mir den Rücken.“
Demaris zögerte, allerdings aus Neugierde, und nicht weil sie kokett sein wollte. „Weshalb?“
„Weil ich Euch überraschen will, Liebste“, antwortete er schon eine Spur ungeduldiger. „Herrgott, wenn alle Quäkerfrauen ein so misstrauisches Volk sind, wundert es mich, dass der Verein noch nicht ausgestorben ist.“
Für Demaris’ Geschmack kam das der Wahrheit ein wenig zu nahe. Sie kletterte über das Wagenrad hinunter, ging so würdevoll wie möglich zu der angegebenen Stelle und legte sich dort die Fingerspitzen vorsichtig über die Augen. Überraschungen von der Art, wie Jonathan sie offensichtlich vorhatte, lagen außerhalb ihres Erfahrungsbereichs, und trotz seiner beruhigenden Bemerkungen fühlte sie sich irgendwie verletzbar.
Sie hörte den Wagen quietschen, als Jonathan hinunterstieg, und dann kamen die humpelnden Schritte heran. Als Nächstes hörte sie ein Knarren wie das von einem Weidenkorb, und schließlich klapperte irdenes Geschirr. Demaris’ Spannung wuchs.
„Alles bereit“, sagte Jonathan endlich. „Jetzt öffnet Eure hübschen blauen Augen.“
Demaris ließ die Hände sinken und schnappte nach Luft. Vor ihr auf einer im Gras ausgebreiteten Decke erblickte sie das umfangreichste Mahl, das ein Gastwirt in Newport innerhalb so kurzer Zeit hätte zusammenstellen können: Eine kleine Bratgans mit einer Füllung aus hart gekochten Eiern, süße, in Essig eingelegte Zwiebeln, ein großer Schnitz Gloucesterkäse, eingemachte Kirschen, ein runder Laib Weizenbrot und ein Kuchen mit spanischen Rosinen darin.
Neben dem nun leeren Korb lag Jonathan auf einem Ellbogen aufgestützt und lächelte vergnügt über Demaris’ so offenkundige Freude.
Sie kniete sich neben ihn ins Gras. „Ihr habt ja keine Ahnung, was das für mich bedeutet“, begann sie und schwieg dann überwältigt. Sie konnte nur noch lächeln und immer
wieder den Kopf schütteln. In ihren Augen standen Tränen.
„Ich weiß, was Ihr alles für mich getan habt, meine Liebe“, sagte Jonathan ein wenig rau. Ihre Reaktion rührte ihn an. Es war ihm nicht leichtgefallen, sich ein Geschenk auszudenken, das sie annehmen würde. Die üblichen Seidenbänder und Kinkerlitzchen hätten nicht zu ihr gepasst, doch angesichts ihrer aufrichtigen Freude über dieses simple Essen fühlte er sich
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