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Flagge im Sturm

Titel: Flagge im Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirinda Jarrett
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    Er stellte sich hinter ihren Stuhl und fasste um sie herum, um ihr die Gabel vorschriftsmäßig in die Hand zu legen. Demaris erstarrte, als er sich über ihre Schulter beugte und dabei die langen Locken seiner Perücke ihren Nacken berührten, während sein nach Wein riechender Atem ihre Wange streifte.
    „Vielen Dank, Roger“, sagte sie leise. „Ich denke, von jetzt an komme ich allein zurecht.“
    „O nein, liebe Schwägerin“, widersprach er lächelnd. „Diese italienischen Sitten sind manchmal ein wenig komplizierter, als sie aussehen.“
    Zu ihrer größten Verlegenheit führte er ihr die Gabel an den Mund, als wäre Demaris ein tollpatschiges Kind. Ihr blieb nur, einfältig zu lächeln und zu kauen. Zu allem Übel zog er auch noch seine Serviette, tupfte damit ihre Lippen ab und lächelte dann so triumphierend, als hätte er seine Schwägerin soeben in alle Geheimnisse der Welt eingeweiht.
    „Roger“, ließ sich Evelyn mit eisiger Stimme vernehmen, „bist du jetzt damit fertig, deiner rückständigen Schwägerin die Kunst der selbständigen Nahrungsaufnahme nahezubringen, sodass du dich nunmehr auch deinen anderen Gästen widmen kannst?“
    „Ich bin nicht rückständig, Evelyn“, stellte Demaris ruhig fest. Sorgfältig legte sie die Gabel quer über ihren Teller und fühlte dabei die Augen aller am Tisch auf sich gerichtet. Offenbar wartete jedermann auf ihre weiteren Worte.
    Sie kämpfte mit ihrem aufsteigenden Zorn, der sich nicht so sehr an Evelyn, sondern vielmehr an Roger richtete. Er hatte sie berührt und benutzt auf eine Weise, die seine Gattin nur verletzen konnte.
    „Meine Sitten sind aus Überzeugung schlicht“, fuhr sie fort, „und als Tochter dieser Kolonie habe ich leider keine Erfahrung mit Gabeln für römische Gentlemen.“
    „Evelyn, muss ich dich daran erinnern, dass Demaris sowohl unser Gast als auch die Witwe meines Bruders ist?“ Roger legte seine Hände auf Demaris’ Schultern. Seine Handflächen schienen sich durch die schwere graue Seide ihres einzigen guten Gewandes hindurchzubrennen. „Ich persönlich finde ein wenig Schlichtheit in diesem Haus recht erfrischend.“
    „Schlichtheit!“ Evelyn spie das Wort förmlich aus, und Demaris sah zu ihrem Schrecken Tränen in den Augen der jungen Frau. „Was verstehst du denn von Schlichtheit? Wer will denn immer mehr und mehr und noch mehr? Wer lässt sich denn von jedem einzelnen Schiff, das aus London kommt, immer das mitbringen, was die allerneueste Mode bei Hof ist? Und wer muss dann für alles bezahlen? Als ob mein armer Vater Gold aus Stroh zu spinnen versteht!“ Demaris fühlte, dass sich Rogers Finger auf ihren Schultern verkrampften. „Du vergisst dich, Evelyn“, sagte er. „Falls du dich unpässlich fühlst, werden unsere Gäste sicherlich dafür Verständnis haben, wenn du dich jetzt zurückziehst. “
    Evelyn schien ihm überhaupt nicht zugehört zu haben.
    „Wenn Schlichtheit das ist, was du willst, dann werde ich mich so schlicht zeigen wie unsere schlichte Quäker-Dem-aris.“
    Sie erhob sich so ungestüm, dass sie ihren Stuhl dabei umwarf. Unangenehm berührt standen die drei anderen Herren am Tisch ebenfalls auf, hielten ihre Servietten fest und blickten auf ihre halbleeren Teller hinunter.
    „Du sollst deine Schlichtheit haben, hoher Herr“, redete Evelyn eher wie im Selbstgespräch weiter. Mit bebenden Fingern stieß sie ihre Serviette in das Wasserglas und rieb sich dann mit dem nassen Damast über die geschminkten Wangen. Das Rot und Weiß kam in scheckigen Streifen herunter, und zum Schluss hielt Evelyn ihr abgewischtes, tränenüberströmtes Gesicht der Tafelrunde zur Besichtigung hin.
    „Bitte sehr, Master Allyn“, schrie sie. „Hier ist das schlichte Gesicht, das ich der Welt zeigen sollte! “
    Demaris und allen anderen Gästen am Tisch stockte der Atem. Nachdem die Maske aus Bleiweiß verschwunden war, sah jedermann, dass Evelyns hübsches Gesicht übersät war mit kleinen und großen Blutergüssen, von denen manche noch hellrot und frisch, andere schon zu einem grünlichen Gelb verblasst waren.
    Niemand bemerkte das Dienstmädchen, das in den Raum geschlüpft kam und einen Knicks vor Demaris andeutete. „Gestatten, Mistress Allyn, da draußen steht ein Junge, der sagt, man erwartet Euch dringend daheim.“
    Noch niemals zuvor war Demaris so dankbar für einen Vorwand zur Flucht gewesen.
    Jonathan saß im tintenschwarzen Schatten des Stalls. Die Glut in seiner Pfeife glomm

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