Flagge im Sturm
bedeckte schon das Gras. Das Gewand aus Seidenstoff hatte sie sich nur deshalb zugelegt, weil Eben darauf bestanden hatte, und sie ihrerseits hatte darauf bestanden, dass es dunkel und frei von all dem modisch frivolen Schnickschnack war, den Eben so gern an ihr gesehen hätte.
Ja, Eben hatte sie immer gern beschenkt - sie verwöhnt, wie er es nannte und sie erinnerte sich daran, wie sie ihn immer an Sparsamkeit, Genügsamkeit und Schlichtheit hatte gemahnen müssen. Jetzt dachte sie wieder an Evelyns Vorwürfe, und sie erkannte, dass die beiden Halbbrüder einander vielleicht ähnlicher als angenommen waren.
Eben und sie hatten sich jedoch niemals wegen seiner Geldausgaben überworfen, sie hatten sich überhaupt nie gestritten. Demaris erschauderte, wenn sie an Evelyns böse zugerichtetes Gesicht dachte. Sie wollte einfach nicht glauben, dass Roger seiner Gattin so etwas angetan hatte, doch welche andere Erklärung gab es denn sonst?
Evelyn Stoddard war zwar eine reiche Erbin gewesen, doch Eben hatte erzählt, dass es für Roger eine Liebesheirat gewesen war. Möglicherweise steckte jedoch auch mehr hinter Evelyns traurigem Auftritt und ihren blauen Flecken im Gesicht als nur eine Meinungsverschiedenheit wegen Geld. Wer konnte schon beurteilen, was zwischen einem Ehemann und seiner Gemahlin vorging?
Mit den Gedanken noch bei Roger und Evelyn, lief Demaris den sandigen Abhang zum Eingang der Felsenhöhle hinunter. Sie drückte sich an dem dichten Gebüsch vorbei, das den engen Zugang verdeckte, und befreite ihren Umhang aus den Zweigen, an denen er immer wieder hängen blieb.
An dem kleinen Felssims tastete sie nach der alten Blechschachtel, die das Feuerzeug für die Laterne enthielt, und dann trat sie weiter in die Höhle hinein, wobei sie die Hände an der rauen Felswand entlanggleiten ließ und die Schritte abzählte, bis sie blind zu der Nische gelangte, in der sich die Laterne befand.
Das winzige Flämmchen vermochte den gewundenen Höhlengang kaum zu beleuchten, und obwohl sich Demaris hier in vollkommen vertrauter Umgebung befand, schauderte es sie. Eilig lief sie weiter zu dem größten Raum der Höhle, wo die geschmuggelten Fässer, Flaschen und Weinschläuche gelagert waren.
Gleich nach Rogers überraschendem Besuch auf Nantasket hatte sie heimlich den kleinen Schatzkasten mit den Goldmünzen hierher in die Kaverne gebracht und ihn an einer Stelle vergraben, wo nicht einmal Caleb oder die Brüder Reed nach ihm suchen würden.
Demaris stellte die Laterne auf den Boden und stocherte mit dem Fuß im Sand, bis sie auf den Kastendeckel stieß. Sie hockte sich nieder, schob den restlichen Sand zur Seite, entfernte den Stofflappen, den sie um das Vorhängeschloss gebunden hatte, holte den Schlüssel dazu aus ihrer Tasche und steckte ihn in das Schloss.
Die sandigen Scharniere knirschten beim Öffnen. Rasch zählt Demaris die Münzen ab, die sie benötigen würde, und fügte dann noch ein paar hinzu, denn bei van Vere wusste man nie so genau, welchen Preis er machen würde.
Der Sand dämpfte die Schritte hinter ihr, und dass sie sich nicht mehr allein in der Felshöhle befand, merkte sie erst, als sie den unheimlich widerhallenden Pfiff im Gang hörte. Sie griff die Laterne, sprang auf die Beine und drückte sich das Gold an die Brust.
„Ach Scheherezade“, seufzte Jonathan leise. Er betrachtete erst die in der Kaverne säuberlich aufgestapelten Fässer und dann Demaris, der vor Schreck die Goldmünzen aus den Fingern glitten. „Das ist die einzige Geschichte, die ich Euch nicht geglaubt hätte.“
8. Kapitel
Wie seid Ihr hergelangt?“, fragte Demaris streng, nachdem sie sich wieder erholt hatte. Sie richtete sich so gerade wie möglich auf. „Diesen Ort kennt doch niemand. “
„Jeder kennt ihn, der sich die Zeit nimmt, Euch zu folgen, Demaris“, antwortete Jonathan. „Ihr verbergt nicht gerade Eure Spuren. Während ich vor Eurem Stall wartete, sah ich Euren Pferdekarren kommen und Euch absteigen. “ Nachdem seine erste Verblüffung über den Inhalt der Höhle abgeklungen war, erkannte Jonathan deutlich, in welcher Gefahr sich Demaris befand. Sie vermochte das Risiko kaum abzuschätzen, das sie mit der Schmuggelei einging, er indessen konnte das sehr wohl.
Er trat in den Hauptraum der Kaverne und strich mit der Hand über die langen Reihen der Fässer. „Teneriffa, Lorient, Amsterdam“, las er auf den Fassdeckeln. „Ein hübsches Sortiment habt Ihr hier, Schätzchen. Jede Wette, dass
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