Flagge im Sturm
Wahrheit. Dieser Junge war einer aus meiner Mannschaft. Er segelte und focht mit mir sieben Jahre lang! “
„Dann lügt er“, widersprach sie sofort. „Jonathan, ich vermag so etwas von Euch nicht zu glauben. Ihr seid kein böser Mensch. Keiner von dieser Art. “
Stöhnend schüttelte er den Kopf. „Demaris, Liebste, ich erinnere nicht alles, doch genug, um zu erkennen, dass es die Wahrheit ist.“ Er wandte sich ab, weil er das Vertrauen in ihrem Blick nicht sehen wollte, ein Vertrauen, das er nicht verdiente.
„Ich erinnere mich an die ,Leopard, eine Schaluppe mit sauberen, schnittigen Linien, ich habe ihren Bau selbst überwacht. Und ich erinnere mich an das letzte Schiff, das wir zu kapern versuchten und an den Kampf, den wir dann verloren haben.“
Sein Gesichtsausdruck wurde hart. Seine Gestalt war wie zum Sprung gespannt, und wieder spürte er, wie der Blutrausch von ihm Besitz ergreifen wollte.
„Ich habe gekämpft, und ich habe andere Menschen getötet, Demaris, ohne mir mehr dabei zu denken als Ihr, wenn Ihr ein Unkraut auszupft. Ihr fragt, was ich erinnere. Ich erinnere, wie gut es war, das Lebensblut eines Mannes an meinem Säbel herabrinnen zu sehen, zu wissen, dass ein anderer starb, während ich noch lebte. Es war ein gutes Gefühl, Demaris!“
Wild fuhr seine Hand durch die Luft, als hielte er noch immer den Säbel. „Zwölf meiner Männer starben an diesem Tag, weil ich es von ihnen verlangte. Zwölf Männer und zwei Jungen. Jungen, die ich ihren Müttern fortgenommen hatte, damit sie mein Handwerk lernten. Und was ich sie gelehrt habe, das war zu stehlen und zu sterben. Das vermag ich nicht zu vergessen, Demaris. Ihr solltet es auch nicht vergessen.“
Demaris hatte schweigend zugehört. Sie sah Jonathan an, dass er glaubte, was er sagte, doch tief in ihrem Inneren bestritt sie es. Es war ihr einfach nicht möglich, es zu glauben. Die Geschichte war nicht zu vereinbaren mit dem Eindruck von dem Mann, den sie in den vergangenen Wochen kennen-und liebengelernt hatte.
Andererseits waren da die alten Narben auf seiner Brust, die Schusswunde an seinem Bein und seine Vertrautheit mit Waffen zum Kampf, das geübte Geschick, mit dem er am Strand mit van Vere fertiggeworden war. Und weshalb sollte der Mann in der Taverne gelogen haben? Nein, es durfte nicht wahr sein! Demaris rang mit ihren Zweifeln. Falls Jonathan war, was er zu sein behauptete, weshalb war er dann zurückgekommen?
Solch ein böser Mensch hätte sie im Übrigen doch schon längst ausgeraubt und vergewaltigt, möglicherweise sogar ermordet. Er hätte kein Holz für Dachschindeln gespaltet, er hätte sie nicht beschützt, und er würde sie nicht geliebt haben, bis sie vor Lust schrie.
„Ich darf nicht länger bei Euch bleiben, Liebste“, sagte er schließlich tonlos. „Ihr verdient den Kummer nicht, den ich Euch zweifellos bringen werde. Ich habe in Eurem Leben nichts zu suchen, zumal ich mein eigenes ruiniert habe. Und Euren Eben kann ich auch nicht ersetzen. Ich bin leider nicht der Held, den Ihr Euch vielleicht vorstellt. Ich bin nicht einmal ein besonders guter Mann. “
„O doch, Jonathan, das seid Ihr ganz bestimmt“, widersprach Demaris leise. „Und Ihr seid der Mann, den ich liebe.“
12. Kapitel
Jonathan zuckte zusammen, als wäre er geschlagen worden. Ärgerlich zog er die dunklen Augenbrauen zusammen. „So war es zwischen uns immer, nicht wahr?“, fragte er finster. „Ihr seid stets so verdammt ehrbar und großmütig, während ich hier wie ein armer, dankbarer Bettler stehen und Eure Gaben entgegennehmen soll. “
„Das stimmt doch nicht, Jonathan! Das habe ich nie von Euch erwartet. Ihr tut mir Unrecht! “
„Unrecht? Recht?“ Seine grünen Augen glitzerten wie hartes Glas. „Eine Quäkerin vermag selbstverständlich zu beurteilen, was recht und was unrecht ist, nicht wahr? Demaris, in dieser Welt gibt es herzlich wenig Rechtes, und ich nehme mich da keineswegs aus.“
Am allerwenigsten „recht“ war es, dass sie hier so nahe bei ihm stand, sodass er ihren warmen Duft wahrnehmen konnte, und dass sie mit ihm stritt, obwohl sie kaum mehr als ihre Unterröcke anhatte. Sie hielt sich ihr Trauergewand vor der Brust fest, als könnte sie damit irgendetwas verdecken, wo doch die Haut auf ihren Schultern blassgolden über ihrem weißen Unterkleid schimmerte, und er sogar ihre Brustspitzen durch das dünne Leinen hindurch erkennen konnte.
Er begehrte sie, das konnte er nicht leugnen, doch sein
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