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Flagge im Sturm

Titel: Flagge im Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirinda Jarrett
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offenkundig, dass sie sich zur Verteidigung veranlasst sah. Stattdessen tat sie das, was ihr seit vielen Jahren zur Gewohnheit geworden war: Sie beugte still und scheinbar ergeben den Kopf.
    „Ich bin eine erwachsene Frau, Roger, die Witwe deines Bruders. Ich muss weder dir noch Elisabeth Willet gegenüber Rechenschaft ablegen.“
    So selbstsicher wie möglich wandte sie ihm den Rücken, nahm ihren Umhang vom Kleiderhaken und ging zur Tür. Sie zitterte am ganzen Leib, denn sie fürchtete, dass ihr Schwager jeden Moment über sie herfallen würde. In der offenen Tür blieb sie noch einmal stehen. Den Kopf hielt sie weiterhin gesenkt, denn sie war nicht imstande, Rogers wütendem Blick zu begegnen.
    „Was deine Mutter betrifft, so tut es mir leid, wenn du glaubst, ich hätte ihr Haus entehrt. Doch nach dem, was du heute zu mir gesagt hast, bist du fortan dort nicht mehr willkommen.“
    Demaris hatte schon fast den Ausgang der Stadt erreicht, als ein hübscher Zweispänner neben ihr anhielt. Ned Carr sprang über das Rad herunter. „Es tut mir leid, Mistress. Eine Dame wie Ihr sollte wirklich nicht zu Fuß gehen müssen. “ Er reichte ihr die Hand hin, um ihr auf den Wagen zu helfen. „Nur seid Ihr in solcher Eile fortgegangen, ohne vorher jemandem etwas zu sagen.“
    Sie blickte auf den Staub hinunter, der schon an ihrem Kleidersaum hing. Sie selbst hätte sich niemals als Dame bezeichnet, und sie bezweifelte, dass irgendjemand außer Ned Carr das tun würde.
    „Ich gehe heim, Ned“, erklärte sie. „Das kannst du Master Allyn ausrichten, falls er mich vorhin nicht richtig verstanden haben sollte.“
    „Nein, nein, Mistress, er hat Euch schon ganz richtig verstanden“, erwiderte Ned unbehaglich. „Er trug mir auf, Euch nach Nantasket zu bringen, wenn es Euch recht ist.“ „Vermutlich will er nicht, dass seine Nachbarn tuscheln, er hätte mich zu Fuß heimkehren lassen“, meinte Demaris und kletterte ohne Neds Hilfe auf den Wagen. „Trotzdem vielen Dank, Ned.“
    Sie ließ sich von dem Diener bis zu der langen Mauer bringen, die die Grenze ihres Anwesens markierte, und blickte dann dem Wagen nach, der die Straße zurück nach Newport einschlug. Geistesabwesend pflückte sie eines der Veilchen ab, die im Schatten der Mauer wuchsen, und drehte den Stengel zwischen de Fingern.
    Diese Mauern waren lange vor den ersten Allyns von freundlichen Narrangansett-lndianern errichtet worden, die nicht begriffen hatten, dass die Engländer hierbleiben und das Land für sich beanspruchen wollten. Vierzig Jahre später waren es die Allyns gewesen, die nichts begriffen, als die Indianer in König Philips Krieg zurückkehrten, die Farm niederbrannten und deren Bewohner mitsamt dem Vieh hinmetzelten.
    Und jetzt war es Demaris, die nicht begriff, weshalb ein Fremder auf ihrem Landbesitz sie so verwirrte. Sie fragte sich, wie sich das Verhältnis zwischen ihr und Jonathan weiterentwickeln würde - falls überhaupt.
    Als sie die letzte Anhöhe hochstieg, hörte sie Axtschläge zwischen dem Haus und dem Stall widerhallen. Vom Gipfel des Hügels aus beobachtete sie Jonathan, der große Holzscheite zerkleinerte, um später daraus Schindeln zu spalten. Die Nachmittagssonne schien noch warm, und er trug kein Hemd. Wieder und wieder schwang er die Axt in immer dem gleichen hohen Bogen. Auf seinem breiten, muskulösen Rücken und auf den Schultern glänzte der Schweiß.
    Beim Zuschauen spürte Demaris, dass ihr die Brust zu eng wurde. Ihr wurde bewusst, wie sehr sie ihn vermisst hatte und wie sehr sie ihn liebte. Sie fragte sich, was er wohl empfand. Seufzend hängte sie sich das Kleiderbündel über den Arm und ging zum Hof hinunter.
    Aus dem Augenwinkel bemerkte Jonathan eine Bewegung auf dem Hügel. Im nächsten Moment ließ er die Axt fallen, packte die Muskete, die neben ihm am Zaun lehnte, und fuhr zu dem vermeintlichen Eindringling herum.
    „Ihr seid also zurückgekehrt“, stellte er tonlos fest, nachdem er gesehen hatte, dass es Demaris war, die herankam. Er hob das Gewehr wieder von seiner Schulter, und das war die ganze Begrüßung.
    Das Schiff, auf dem er angeheuert hatte, sollte mit dem Hochwasser nach Mitternacht zu den Bermudas auslaufen. Er war nur noch einmal nach Nantasket gekommen, um das Pferd zurückzubringen und seine Habseligkeiten zu holen. Da ihm noch so viel Zeit bis zur Abreise geblieben war, hatte er mit dem Holzspalten begonnen in der Hoffnung, auf diese Weise den billigen Rum auszuschwitzen. Hätte er

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