Flames 'n' Roses
ganze Menge anrichten – die Leute sehen, hören oder fühlen sogar plötzlich Dinge, die gar nicht da sind –, aber wenn man das weiß, kommt man einigermaßen damit klar.
»Außerdem, falls ich sterben sollte, gehen Raquel, Denise und Jacques auch über den Jordan.«
Sie blinzelte nachdenklich. »Und warum sollte ein Doppelgänger in Raquels Akten herumschnüffeln?«
»Stimmt. Und er ist auch erst siebzehn.«
Lish legte den Kopf schief. »Er ist also nicht unsterblich?«
»Nö. Oje, das hätte ich Raquel wohl auch mal erzählen sollen.« Ich runzelte die Stirn. Ich würde es ihr erst sagen, wenn sie sich dazu bequemte, mich mit einzubeziehen. »Hör mal, sag ihr nichts, ja? Ich will in dieser Sache auf dem Laufenden bleiben und Informationen sind das einzige Druckmittel, das ich habe.«
Lish schloss eins ihrer durchsichtigen Augenlider – ihre Version eines Zwinkerns. »Die haben mir den Fall sowieso nicht für Nachforschungen freigegeben. Ich habe also keinen Grund, ihnen irgendetwas zu erzählen.«
»Ach, meine fabelhafte Fischfreundin, du bist einfach die Beste.«
Lishs Augen lächelten mir zu.
So verschieden wir auch sein mochten, so war jede von uns doch genau das, was die andere brauchte – eine Freundin.
Wie es meine Gewohnheit war, seit ich Lish mit zehn Jahren zum ersten Mal begegnet war, drückte ich zum Abschied mein Gesicht an die Scheibe und pustete mit dick aufgeblähten Wangen dagegen.
Am Arsch – und zwar in jeder Sprache
Etwas später an diesem Morgen hatte ich es gerade endlich geschafft einzuschlafen, als der Alarm wieder losschrillte. Verwirrt sprang ich aus dem Bett, gefasst auf einen weiteren Eindringling oder sonstigen Notfall. Dann wurde mir klar, dass es nicht die Alarmsirene der Zentrale war, sondern bloß mein Wecker. Und das bedeutete, dass meine Lehrerin Charlotte in exakt zehn Minuten auf der Matte stehen würde.
»Ach, piep!« Ich hatte keinen Gedanken an meine Hausaufgaben verschwendet.
In den letzten Jahren hatte ich Raquel immer wieder davon zu überzeugen versucht, dass es wirklich nicht nötig war, dass ich Mathe, Englisch, Naturwissenschaften, Geschichte und vier – ganz recht, vier – Fremdsprachen paukte. Es sah ja nicht gerade so aus, als würde ich später mal studieren oder so. Klar wollte ich gern auf eine richtige Highschool, aber mehr, um mal ein paar echte Teenager kennenzulernen, und nicht etwa des Lernens wegen. Außerdem bezweifelte ich, dass sich die IBKP tatsächlich dafür interessierte, ob ich meinen Abschluss machte. Solange ich durch Cover hindurchblicken konnte, hatte ich hier einen Job auf Lebenszeit. Aber immer wenn ich das Thema anschnitt, sah mich Raquel nur aus ihren beinahe schwarzen Augen an und stieß ihren patentierten »Ich weiß, du hältst es für unwichtig, diese Dinge zu lernen, aber eines Tages wirst du es zu schätzen wissen, dass ich eine gebildete Erwachsene aus dir gemacht habe« -Seufzer aus.
Ziemlich sicher, dass an diesem Morgen Spanisch an der Reihe war, kramte ich mein Buch hervor. Hastig füllte ich die Konjugationstabelle mit Beispielsätzen. Yo soy a culo. Quatsch, da fehlte ja noch der Artikel. Yo soy al culo. Soll heißen: Ich bin am Arsch.
Superpünktlich summte es an meiner Tür und ich ließ Charlotte rein. Sie war eine hübsche Frau, wahrscheinlich so Ende zwanzig. Ein paar Zentimeter kleiner als ich, mit glänzendem braunem Haar, das sie zum Pferdeschwanz gebunden trug, und mit so einer supercoolen rechteckigen Brille vor den blauen Augen, die sich wiederum vor ihren leuchtend gelben Werwolfaugen befanden.
Charlotte lächelte immer so liebenswürdig. Bevor sie infiziert wurde, war sie leidenschaftlich gern Lehrerin gewesen. Als ihr klar wurde, was mit ihr passiert war und was sie getan hatte – sie hatte ein Familienmitglied angegriffen –, versuchte sie, sich umzubringen. Glücklicherweise fanden wir sie, bevor sie eine der wenigen Methoden entdecken konnte, die einem Werwolf tatsächlich etwas anhaben können. Ich war mir nie sicher, ob es an meiner fehlenden Motivation als Schülerin lag oder an ihrem Kummer über die Vergangenheit, aber sie wirkte selbst dann traurig, wenn sie lächelte.
Wir setzten uns auf die Couch und zogen uns den Tisch heran. Sie warf einen Blick auf mein Arbeitsblatt und unterdrückte ein Schmunzeln. »Du bist am Arsch?«
Ich versuchte es mit meinem besten »Nicht sauer sein, ich bin doch so niedlich« -Grinsen und zuckte mit den Schultern.
»Diesen Ausdruck gibt’s nur
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