Flaming Bess 04 - Das Grauen an Bord
verschwand.
»3. Oberdeck, Leesektion«, kommentierte Di Grey. »Die Aufnahme wurde von einer automatischen Kamera gemacht und entstand kurz vor Jorna Kards Amoklauf. Der Zustieg liegt in unmittelbarer Nähe des Leegartens.«
Katzenstein bewegte sich unbehaglich. »Aber das beweist nicht«, wandte er ein, »daß der Schläfer die Seuche absichtlich verbreitet. Ich meine, die Seuchenopfer sind geistig verwirrt. Wahrscheinlich ist er genauso verrückt wie Goldberg, der vom Gespenst seiner toten Frau heimgesucht wurde. Oder wie dieser Kerl aus der Hydroabteilung, Greldin, der angeblich in unserem Auftrag mit einem Eispickel Jagd auf harmlose Menschen machte, weil er sie für verdammte Käfer hielt … «
»Das stimmt«, nickte Flaming Bess, »aber Dr. Go hat über die Seuche und ihre Erreger einige interessante Dinge herausgefunden, die das Bild verändern.«
Sie nahm über Interkom Verbindung mit der Krankenstation im 4. OD auf und legte das Gespräch auf den Hauptbildschirm. Das verschwommene Standfoto des Kälteschläfers verschwand, und Dr. Gos olivfarbenes, mandeläugiges Gesicht erschien. Der Bordarzt wirkte müde und besorgt.
»Soeben sind drei neue Fälle eingeliefert worden«, sagte er grußlos. »Und zwar aus diesem Deck.«
Bess war nicht überrascht. Sie hatte erwartet, daß der Kälteschläfer das 3. OD verlassen würde. Nach Jorna Kards und Greldins Amokläufen wimmelte es dort von SD-Männern. Wahrscheinlich war ihm der Boden zu heiß geworden.
»Wir werden entsprechende Maßnahmen ergreifen, um das weitere Ausbreiten der Amokseuche zu verhindern«, versicherte sie.
»Sie sollten schnell handeln«, sagte Go. »Der Zustand der Infizierten verschlechtert sich. Wir nähern uns dem Punkt ohne Wiederkehr, Kommandantin.«
»Geben Sie uns eine Analyse der Seuche«, verlangte Flaming Bess, »damit jeder weiß, mit was wir es zu tun haben.«
Der Bordarzt lächelte höflich. »In aller Kürze — wir haben es nicht mit einem Erreger im klassischen Sinn zu tun, sondern mit einer fremden, parasitären, möglicherweise intelligenten Lebensform. Im passiven Zustand — außerhalb eines Wirtskörpers — ist der Erreger ein kristallines, virusähnliches Objekt mit einem Durchmesser von etwa hundert Angström, was dem hunderttausendsten Teil eines Millimeters entspricht. Gelangt der Erreger in den Blutkreislauf, wandert er zum Gehirn und setzt sich an den Synapsen fest, winzigen Schaltern, die durch chemische Überträgersubstanzen die Verbindung zwischen den rund fünfzehn Milliarden Nervenzellen herstellen. Etwa fünfhundert Billionen solcher Schaltstellen oder Synapsen sorgen dafür, daß wir gezielt denken und uns erinnern können.
Anders ausgedrückt«, — wieder huschte jenes höfliche, unverbindliche Lächeln über Dr. Gos olivfarbenes Gesicht — »jede Veränderung im synaptischen Netzwerk verändert unser Denken, unser Bewußtsein, unsere Persönlichkeit. Und genau das ist die Funktion dieser neuro-parasitären Lebensform. Sie manipuliert die Informationsübertragung zwischen den Nervenzellen durch gezielte Eingriffe in die molekulare Struktur der Transmittersubstanzen und damit unser Denken.
Es gibt Hinweise, daß diese Manipulation zweckgerichtet ist, daß das aggressive Verhalten der Wirte dem Schutz des Parasiten dient. Keiner der Infizierten hat bislang einen anderen Infizierten angegriffen; bei den Opfern der Amokläufer handelt es sich ausschließlich um gesunde Personen. Außerdem ändert sich das Verhalten der Infizierten auf bemerkenswerte Weise, sobald sie überwältigt und in die Krankenstation eingeliefert werden — Wahnvorstellungen und Aggressionen verschwinden, sie wirken völlig normal, versuchen sogar, uns zu überzeugen, daß sie gesund sind, obwohl sich die Neuroparasiten in ihrem Gehirngewebe nachweislich vermehren … «
»Wollen Sie damit sagen«, warf Ken Katzenstein skeptisch ein, »daß diese Neuroparasiten ihre Opfer geistig übernehmen? Daß wir es nicht mit Kranken zu tun haben, sondern mit einem nicht-menschlichen Wesen, das nur noch äußerlich wie ein Mensch aussieht?«
Der Bordarzt nickte bedächtig. »Genau das ist das Endstadium derKrankheit.«
Entsetztes Schweigen.
»Dann besteht keine Hoffnung, nicht wahr?« sagte Katzenstein schließlich mit gepreßter Stimme. »Keine Möglichkeit, die Infizierten zu heilen.«
»Wir könnten die Neuroparasiten mit bestimmten Mitteln abtöten, doch das würde das Gehirn des Opfers irreparabel schädigen«, erklärte Go.
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