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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Wunder
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Er lag neben der Tankstelle, was ihr als eine ziemliche Fehlplanung erschien. Wer baute denn einen Laden voller Explosivstoffe neben eine Tankstelle? Jedenfalls war die Mission leicht zu erfüllen, weil die zahnlose Frau an der Kasse total in eine Monster-Truck-Rallye im Fernsehen vertieft war.
    Die langen Stangen von den Feuerwerksraketen kratzten an ihren Beinen, als sie an lauter ausgedienten, ausgemusterten und kaputten Karussells vorbeikam, dem Sombrerokarussell, dem Minizug und der Achterbahn, die laut Carlos, der vor dem verlassenen Tor Wache hielt, im nächsten Monat repariert werden sollte.
    Cam traf mit ihrer Mutter und Perry wie verabredet in der Spielhalle zusammen. Perry hatte ein galoppierendes weißes Einhorn auf ihrer linken Wange und bettelte gerade darum, ihre Biorhythmuskurve von einem alten Automaten aus den Siebzigern mit Holzoptik erstellen lassen zu dürfen.
    Alicia telefonierte mal wieder und hörte erneut das Besetztzeichen bei dem Anschluss des einzigen Hotels in Promise.
    Perry setzte sich am Ende durch. Alicia steckte einen Dollar in den Automaten, gelbe Lämpchen blinkten um einen blinzelnden Swami-Kopf herum auf, und Perry steckte ihre Finger in eine Klemme, die aussah wie die, mit der Cam im Krankenhaus ihren Sauerstoffgehalt im Blut messen lassen musste. Die Lämpchen blinkten wieder, und dann spuckte das Ding eine Karte aus, auf der stand, dass Perry sich glücklich verlieben würde.
    Was du nicht sagst , dachte Cam. Sie ist eine blonde skandinavische Schönheit . Hatten die da jemand in dem Apparat sitzen?
    »Jetzt du, Cam. Versuch’s.«
    »Na schön. Wenn das Gleiche dabei herauskommt, wissen wir, dass es Betrug ist.«
    Cam legte ihre Hand in die Klemme, die Lämpchen blinkten, und der Swami-Kopf hörte abrupt auf zu leuchten. Cams Karte wurde ausgespuckt.
    Sie sah gleich, dass sie anders war als die Perrys. Sie hatte keinen hübschen, rot gemusterten Rand, und als sie sie herausziehen wollte, war es, als würde der Swami sie zurückhalten. Er wollte sie einfach nicht loslassen. Cam zog fester, mit beiden Händen, aber das verflixte Ding löste sich nicht. Sie stemmte einen Fuß gegen die Maschine und zerrte mit aller Kraft. Als die Karte endlich herauskam, fiel sie auf den Hintern. Sie starrte darauf. Sie hielt ein leeres Stück Papier in der Hand.
    Sie drehte sie um, ob vielleicht etwas auf der Rückseite stand. Sie sah in dem Schlitz nach, aber es gab keine zweite Karte. Das wächserne Swami-Gesicht schien sie spöttisch anzugrinsen.
    »Da steht nichts drauf«, sagte Cam, nun doch enttäuscht.
    »Siehst du«, trumpfte Perry auf, »du musst daran glauben, sonst weiß er nicht, dass du existierst.«
    Cam zerknüllte die Karte in der Hand. Vielleicht war einfach ihr Sauerstoffgehalt zu gering. Sie fühlte sich schon seit Atlanta ziemlich schwach und gehörte vermutlich ins Krankenhaus. Aber sie wusste, wenn sie eine Nacht gut durchschlief, würde es ihr am Morgen besser gehen.
    Veilleicht auch nicht. Vielleicht war ihre Zukunft nichts als ein leeres Blatt.

S IEBEN
    Die Auffahrt zu Lilys Elternhaus war mit braunen Kiefernnadeln übersät und wand sich durch ein hohes Wäldchen bis zu einer Lichtung, auf der ein neumodisches Gebäude im Blockhausstil stand. Es war wie dieser Sirup »nach Ahornsirupart« – eine aufgemotzte, verwässerte Imitation des echten. Die strengen horizontalen Linien der ursprünglichen Architektur wurden von protzigen Bogenfenstern unterbrochen und von einem vollkommen chaotischen Garten im englischen Stil abgeschwächt, der an der Vorderseite wucherte. Der nasse Rasen an der Hinterfront fiel sanft zum See ab.
    Es war erst acht Uhr abends, aber Cam war furchtbar müde. Sie hatten eine knappe Stunde vom South of the Border hierher gebraucht, und auf der Fahrt waren ihr Zweifel gekommen, ob sie es schaffen würde. Ihr Kopf pochte, und alles tat ihr weh. Beinahe hätte sie auf das kleine Pipettenfläschchen mit Morphium zurückgreifen müssen, das sie in der geheimen Knietasche ihrer Cargohose aufbewahrte, aber sie wollte nicht nörglerisch und gereizt sein, wenn sie zu Lily kam, also hatte sie stattdessen literweise Wasser getrunken und ein bisschen von dem gestohlenen Calendulawurzelzeug genommen. Der Anblick von Lilys Haus linderte ihre Schmerzen ein wenig. Sie war zwar erst einmal hier gewesen, doch es wirkte sofort vertraut und tröstlich auf sie. Seine Bewohner wussten, wie es war.
    Cam stieg aus und streckte sich ausgiebig. Noch bevor sie ihre Schuhe

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