Flamingos im Schnee
Libelle und wartete, bis sie fünf Mal aufblitzte, ehe sie fragte: »Und ist Ryan jetzt dein Freund oder was?«
»Sobald er mit Kaitlin Schluss gemacht hat.«
»Aha.« Es gibt einen Haken , dachte Cam. Es gibt immer einen Haken .
»Nein. Ich weiß, dass er mich liebt. Er ist nur schon ziemlich lange mit Kaitlin zusammen, deshalb fällt es ihm schwer, sich aus der Sache herauszuziehen«, sagte Lily und schüttelte eine American Spirit aus der Schachtel.
»Lass mich raten. Kaitlin hält nichts von Sex vor der Ehe.«
»Cam, er liebt mich. Eine Frau weiß das«, stieß Lily hinter zusammengebissenen Zähnen hervor, während sie sich die Zigarette mit dem Souvenirfeuerzeug von South of the Border anzündete, das Cam ebenfalls bei Rocket City geklaut hatte.
»Eine Frau? Er hat dich zur Frau gemacht?«
»Total«, sagte Lily und schob die Unterlippe vor, um den Rauch zum Himmel und nicht in Cams Gesicht zu blasen.
»Rauch nicht«, schimpfte Cam.
»Nörgel nicht an mir rum«, sagte Lily, schnippte die Zigarette jedoch in den See.
»Aber woher weißt du, dass er dich liebt? Ich meine, warum bist du dir so sicher?«
»Es gibt Anzeichen dafür, Cam.«
»Wie bei Bugs Bunny, wenn er Glupschaugen macht und einen Kranz aus Herzchen und zwitschernden Vögelchen um den Kopf hat und das Herz ihm buchstäblich aus der Brust springt?«
Lily drehte sich zu ihr um. »Wie hast du das erraten?«
»Jetzt mal im Ernst.«
»Ich weiß es nicht.« Lily spielte mit ihrer Zigarettenpackung und klopfte noch eine heraus. Sie steckte sie zwischen die Lippen und zündete sie an. »Wenn er mich anfasst«, sie kniff ein Auge gegen den Rauch zusammen, »gibt es so eine Schwingung. Eine Energie, die durch meinen Körper fließt. Ein animalisches Wissen. Ich kriege eine Gänsehaut, sämtliche Härchen stellen sich auf, jedes Mal, wenn er mich berührt. Und nur, wenn er mich berührt. Deshalb weiß ich es.«
»Ein animalisches Wissen«, murmelte Cam. »Heißt das nicht einfach, dass du scharf auf ihn bist?«
»Gott, Campbell, jetzt reicht’s. Ich weiß, was ich weiß, okay?«
»Okay, gut, schön für dich. Meinen Glückwunsch zu Ryan.« Sie versuchte, sich für Lily zu freuen, aber es gab nichts, was sich notgeiler anhörte als ein siebzehnjähriger Junge namens Ryan.
»Ich muss dir noch etwas gestehen«, sagte Lily und sah ihr ins Gesicht. Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft fiel Cam auf, wie dünn sie geworden war. Ihre Haut war silbrig grau und durchscheinend, sie hatte spindeldürre Finger, und ihre Gesichtszüge, die Nase, die Wangenknochen traten scharf hervor.
»Noch etwas? Ich glaube, mehr verkrafte ich nicht«, erwiderte Cam. »Du übertreibst es übrigens ein bisschen mit der Krebsmagersucht. Isst du überhaupt etwas?«
»Ja, ich esse, Cam, und ich habe einen Brief an Make-A-Wish geschrieben«, sagte Lily. Sie hatten sich gegenseitig geschworen, das nie zu tun. Sie wollten nicht Teil des Krebsestablishments werden oder ihre Krankheit dazu benutzen, Almosen zu ergattern. »Ich möchte mit Ryan nach Italien fahren«, fügte sie hinzu.
»Was sagt denn Kaitlin dazu?«, fragte Cam. Sie konnte es nicht fassen, dass Lily eingeknickt war.
»Halt die Klappe. Du solltest das auch tun. Schreib ihnen.«
Außer Liebe Leute von Make-A-Wish, ich wünsche mir, keinen Krebs zu haben , hatte Cam keine Ahnung, was sie schreiben sollte. Liebe Leute von Make-A-Wish, könnt ihr bitte dafür sorgen, dass mich jemand flachlegt, bevor ich sterbe? Wohl kaum. Sie hatte sich nun schon so lange dazu erzogen, nichts zu wollen oder zu hoffen oder zu wünschen, dass es ihr schwerfiel, eine Bitte zu formulieren. Außerdem war sie zufrieden. Sie hatte ihr Auto. Sie hatte ihren Vogel, und sie war unterwegs, sie nahm Reißaus. Wenn sie immer weiter Reißaus nahm, würde der Krebs sie vielleicht nie einholen.
»Ich habe keinen Wunsch«, sagte sie.
»Doch, hast du.« Lily lehnte sich wieder an sie.
»Hör auf. Ich hab keinen.« Sie rückte ab.
»Doch«, widersprach Lily und schnippte noch eine Zigarette in den See.
»Was soll die Umweltverschmutzung? Liebes Make-A-Wish, ich wünsche mir, dass meine Freundin Lily aufhört, zu rauchen und ihre Kippen in den See zu werfen.«
»Dann schreibe ich eben einen Brief für dich.«
»Toll. Sie schicken mich wahrscheinlich nach Disney World.«
Die zirpenden Soprane der Grillen und ein paar krächzende Froschbaritone füllten das verlegene Schweigen. Mit dieser neuen Entwicklung namens Ryan hatte Lily sich in einen
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