Flamme der Freiheit
liefen. Weniger gefasst zeigte sich Sohn Wilhelm und noch weniger seine Frau. Gerade Elisabeth, die seit Jahrzehnten von der Gräfin getriezt, gestichelt und aufgezogen worden war, bekundete nun das größte Herzeleid. Kummer und Trauer der beiden Enkelinnen Charlotte und Sophie waren tief und echt. Ihren eigenen Kummer vermochte Eleonora kaum zu beschreiben. So kam es, dass auch die Ankunft von Alexander von ihr mehr oder minder unbemerkt blieb. Seit Jahr und Tag hatte sie einem Wiedersehen entgegengebangt, aber als er nun so unerwartet im Prewitzschen Palais neben ihr saß, berührte es sie kaum.
Auf ausdrücklich eigenen Wunsch wurde Gräfin Dorothea im Park von Sophienhof beerdigt. Es war eine kleine stille Beerdigung im engsten Familienkreis gewesen, der jedoch fast zwei Monate später eine riesige, fast pompöse Trauerfeier im französischen Dom von Berlin Stadtmitte folgte.
»Das sind wir Prewitzens ihr einfach schuldig«, hatte Graf Ludovic dies vor sich selbst gerechtfertigt. Er bat Eleonora persönlich, während des Trauergottesdienstes zu singen.
»Das kann ich nicht«, hatte sie weinend abgewehrt.
»Und ob Sie können! Das sind Sie Ihrer Mäzenin schuldig.« Balduin Schilling wusste schon, wie Eleonora zu packen war.
Erst Jahre später sollte ihr klarwerden, dass mit dieser Trauerfeier von der Gräfin Prewitz zu Kirchhagen nicht nur der Abschied von einer hochgeachteten Persönlichkeit des preußischen Adels zelebriert wurde. Diese Feier besaß einen symbolischen Charakter, als ob das Königreich Preußen an diesem Tag seinen Untergang nicht nur ahnen, sondern schon betrauern würde. Tout Berlin hatte sich eingestellt, um Gräfin Dorothea die letzte Ehre zu erweisen. Die Plätze im Dom reichten kaum für die geladenen Trauergäste aus. Draußen vor dem Portal stauten sich die Menschenmassen, ungeladene Gäste, Angehörige aus allen Bevölkerungsschichten, wirklich trauernde Zeitgenossen, unter die sich die neugierigen Schaulustigen mischten. Eleonora selbst bekam wenig von dem Auflauf mit, da sie hinten in der Sakristei des Doms saß. Mit bibbernden Knien und eiskalten Händen repetierte sie ihre Noten. Sie fror ganz schrecklich.
»Sie haben ja ganz blaue Lippen«, stellte Kapellmeister Schilling erschrocken fest, der sich selbst die Hände rieb.
»Ich friere auch ganz fürchterlich«, gestand Eleonora kläglich. »Draußen ist es viel wärmer als hier drinnen.«
In der Tat, an diesem 20 . September des Jahres 1806 zeigte sich der Herbst von seiner mildesten Seite. Draußen waren fast noch sommerliche Temperaturen, während im Innern des Doms eine empfindliche Kühle herrschte, die die Trauergäste bereits bei Eintritt dazu bewog, ihre Kleidung fester an sich zu ziehen.
Da sprang die Tür auf. Die beiden ehemaligen Komtessen Sophie und Charlotte, bayerische Herzogin und schwedische Gräfin, stürzten trotz Kummer und Trauer mit dem üblichen jugendlichen Ungestüm in den Raum.
»Aber meine Damen, meine Damen. Ich muss doch sehr bitten«, mahnte der erschrockene Schilling.
»Brrrr, ist das kalt hier«, stellte Sophie fest. Triumphierend drehte sie sich nach ihrer Schwester um. »Das war doch wirklich eine gute Idee von Babette, uns Großmamas Zobel mitzugeben, damit wir ihn Eleonora noch ganz schnell bringen konnten.« Erst jetzt bemerkte Eleonora, dass Charlotte einen Pelz über den Armen trug. Ehe sie sichs versah, war sie hinter sie getreten und hatte sie damit eingehüllt. Ein sanfter Duft nach Lavendel und Maiglöckchen stieg aus ihm empor.
»Er gehört jetzt dir«, sagte Charlotte liebevoll und trat einen Schritt zurück.
»Niemals!«, stieß Eleonora erschrocken aus.
»Doch«, widersprach Sophie. »Du bist die Einzige, die ihn überhaupt tragen kann. Großmutter wollte, dass du ihn bekommst. Bei unserem letzten Besuch hat sie schon zu uns gesagt: ›Wenn ich einmal tot bin, müsst ihr beide dafür sorgen, dass Eleonora meine Garderobe bekommt, denn sie ist die Einzige, die sie auch tragen kann.‹« Ein anzügliches Lächeln glitt über Charlottes Züge, als sie ihre Blicke über die mollige Figur ihrer Schwester wandern ließ. Sophie verzog das Gesicht. »Du hast ja auch noch keine drei Kinder zur Welt gebracht«, verteidigte sie ihre weiblichen Rundungen.
Wenig pietätvoll das Ganze, aber wie in alten Zeiten, dachte Eleonora und kuschelte sich dankbar in den Zobel der Gräfin. Wie oft hatte sie selbst ihn ihr bereitgehalten, ihr dabei geholfen, hineinzuschlüpfen, und für den
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