Flamme der Freiheit
Eleonora.« Von einer Sekunde auf die andere schien er ein anderer Mann. »Du hast heute wunderschön gesungen, schöner und besser als bei der Hochzeit meiner Schwester. Mit viel mehr Herzblut.«
»Es war ja auch viel mehr dabei«, gestand Eleonora.
»Es gibt viele Sängerinnen, die gut singen können, aber keine ist wie du«, behauptete Alexander.
»Wie meinen Erlaucht das?«
»Bitte, Eleonora, lass diese Anrede, dabei komme ich mir wirklich ein bisschen albern vor«, wehrte er fast ärgerlich ab. Spontan legte er ihr seine Hand auf den Unterarm. Seine Berührung durchfuhr sie wie ein Blitzschlag. Er schien ihr Erschrecken zu spüren und verstärkte den Druck seiner Hand.
»Das Problem vieler, wenn nicht gar der meisten Sängerinnen ist leider, dass ihre schöne Stimme zu ihrer äußeren Erscheinung in einem eklatanten Missverhältnis steht.«
Eleonora runzelte die Stirn. Es dauerte ein Weilchen, bis sie diesen Satz richtig verstanden hatte. Alexander beobachtete sie lächelnd.
»Ich scheine deutlicher werden zu müssen, aber ich tue es gerne. Ich will damit sagen: Deine Stimme ist wunderschön, und du bist genauso schön. Du bist seit unserer letzten Begegnung sogar noch schöner geworden. Du bist etwas ganz Besonderes, Eleonora. Meine Großmutter hat es schon vor Jahren erkannt. Mittlerweile habe ich sogar Verständnis dafür, dass sie mich noch bei Nacht und Nebel nach unserer gemeinsamen Opernpremiere von Schloss Sophienhof fortschickte.«
»Warum hat sie es getan?«
»Um dich vor mir zu schützen«, entgegnete Alexander. »Du warst blutjung, unerfahren, verletzlich und ich ein dummer, junger, rücksichtsloser Heißsporn.«
»Und jetzt?«
»Du bist eine schöne, junge, erwachsene Frau geworden, Eleonora. Aus dem Rohdiamanten beginnt sich ein glänzender Juwel herauszukristallisieren. Ich fürchte nur …« Alexander unterbrach sich und verfiel in dumpfes Schweigen.
»Was fürchten Sie?«, fragte Eleonora aufgebracht. Der vertraute, charmante Alexander war wieder dem unzugänglichen, fast schroffen Soldaten gewichen. Am liebsten hätte sie ihm einen Stoß in die Rippen versetzt. »Könnten Sie Ihren Satz beenden? Sie glauben also doch nicht an meine berufliche Zukunft?«
Ein plötzlicher Tumult wurde draußen vor den Türen des Speisesaals vernehmbar. Ungestüm wurden sie aufgerissen. Der junge Kutscher Anton stürzte herein. Auf dem Fuße folgten ihm zwei Diener. Vergeblich versuchten sie Anton festzuhalten und nach draußen zu zerren. Graf Ludovic hatte sich derweil erhoben. Mit einem Wink bedeutete er den beiden, von Anton abzulassen.
»Was gibt es, Anton, hast du Neuigkeiten für uns?«, fragte er ruhig.
»Der König hat Napoleon ein Ultimatum gesetzt«, keuchte dieser. »Er fordert den umgehenden Abzug all seiner Truppen aus Süddeutschland.«
Ein hoher Aufschrei wurde ausgestoßen. Von wem war der gekommen?
»Das wird Napoleon als eine ungeheuerliche Provokation betrachten«, hörte Eleonora eine scharfe Frauenstimme sagen.
»Die er mit Genuss akzeptieren und Genugtuung verlangen wird«, erwiderte eine fremde Männerstimme.
Jetzt setzte der Tumult erst richtig ein. Alle redeten, riefen, sprachen, schrien durcheinander. Manch männlicher Gast sprang auf, lief einfach zur Tür und verließ ohne Gruß den Raum. Einige Damen begannen zu schluchzen. Eine drohte in Ohnmacht zu fallen und wurde fürsorglich in einen Nebenraum geführt.
Mit hellwachen Augen schaute Alexander um sich, beobachtete die Menschen, versuchte die Stimmung zu erfassen. Ihm gleich tat Eleonora. Angst stieg in ihr empor, als sie ihren Blick über die aufgeregte Gästeschar im Speisesaal der Familie Prewitz zu Kirchhagen wandern ließ. Solch einen Aufruhr hätte Gräfin Dorothea niemals geduldet. Der Gedanke ließ Eleonora den Schmerz ihres Verlustes mit umso heftigerer Deutlichkeit bewusst werden.
Neben ihr hatte sich Alexander erhoben. Verwirrt schaute sie zu ihm empor, als er sich nun förmlich vor ihr verneigte.
»Ich muss Berlin auf der Stelle verlassen. Ich muss so schnell wie möglich zu meinen Soldaten. Das kann kein gutes Ende nehmen. Leb wohl, Eleonora.« Er nahm ihre Hand und zog sie an seine Lippen. »Leb wohl und bring dich in Sicherheit. Such dir eine andere Bleibe. Kannst du zurück zu deinem Vater?«
»Warum sollte ich?«, begehrte sie auf.
»Da wärst du sicherer, in jeder Hinsicht«, fügte er warnend hinzu.
»Erlaucht belieben es sich heute wiederholt in dunklen Andeutungen zu ergehen«, sagte
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