Flamme der Freiheit
stattlich, beeindruckend. Nur mehr wenig hatte er gemein mit dem unbekümmerten jungen Burschen, der sich vor sechs Jahren an ihrer Seite so sehnsuchtsvoll nach seiner Eurydike verzehrt hatte. Jetzt saß ihr ehemaliger Orpheus neben ihr und löffelte stumm seine Suppe in sich hinein. Gerade mal, dass er sich bei ihrem Anblick einen kurzen Gruß abrang. Wusste er überhaupt, wer da neben ihm saß? Eher nein, stellte Eleonora gekränkt fest. Die erste halbe Stunde ignorierte Alexander ihre Gegenwart sogar vollständig, ließ sie links liegen, widmete dafür seiner Nachbarin zur Rechten umso mehr Aufmerksamkeit. Nun ja, es war ja auch die Erzherzogin von Kurland, sogar eine Namensvetterin der Gräfin Dorothea, die von weit her angereist war, um ihrer Freundin die letzte Ehre zu erweisen. Dieser alten Dame von hohem Adel gebührte natürlich mehr Aufmerksamkeit als ihr, der jungen Eleonora, der nur die jahrelange Protektion der Gräfin Zugang in diese illustren Kreise verschafft hatte. Eleonora spürte, wie Unsicherheit und ein längst vergessen geglaubtes altes Unbehagen in ihr aufstiegen. Es war der weiche Teppich des Wohlwollens, der Zuneigung, ja, der Liebe der Gräfin gewesen, der diesen ätzenden, zerstörerischen Gefühlen im Inneren Eleonoras stets ihre Schärfe zu nehmen vermochte.
Aber nun war sie tot.
»Und was wird nun aus dir?«, riss Alexander sie unvermittelt aus ihren Gedanken. Er hatte seine Konversation mit der Herzogin beendet und sich nun überraschend ihr zugewandt. Mit gerunzelten Brauen schaute er sie an. »Wie sehen denn deine weiteren Zukunftspläne aus, Eleonora? Jetzt, da meine Großmutter nicht mehr ist?«
»Ich werde im Herbst mein Debüt an der Berliner Oper geben«, erklärte Eleonora. Warum fühlte sie sich auf einmal so beklommen?
»Mit welcher Oper?«, wollte Alexander wissen.
»Das möchte ich nicht sagen, das bringt Unglück«, erwiderte Eleonora leise.
»Ob du es mir sagst oder nicht, ich fürchte, es wird in diesem Herbst kein Operndebüt geben, liebe Eleonora«, sagte Alexander und schaute sie fast mitleidig an. »Weder für dich noch für alle anderen Freunde des Gesangs, der Musik und sonstigen schönen Künste«, setzte er düster hinzu.
»Aber warum denn nicht? Glauben Sie, ich kann meinen Weg nicht alleine fortsetzen? Ihrer Großmutter habe ich viel zu verdanken. So hat sie mich auch gelehrt, an mich selbst zu glauben. Das verleiht mir Stärke und Kraft.« Mit blitzenden Augen schaute sie ihn an.
»Mein liebes Kind, weißt du denn nicht, was sich gerade hier im Lande tut? Hast du denn gar keine Ahnung? Das hätte ich aber nicht von dir erwartet.« Er klang fast enttäuscht.
»Die letzten Wochen und Tage war ich anderweitig beschäftigt.« Eleonora spürte, wie eine verhaltene Wut in ihr hochstieg.
Alexanders Züge entspannten sich hingegen. »Ach, Eleonora, entschuldige bitte, über dem Kummer ob des Todes meiner Großmutter habe ich völlig vergessen, was sie dir bedeutete. Dabei wusste ich ganz genau, wie nahe ihr euch standet.«
Ihre plötzliche Wut erlosch. Nur mit äußerster Selbstbeherrschung gelang es Eleonora, das in ihr aufsteigende Schluchzen zu unterdrücken. Stumm starrte sie auf ihren Teller. Die Suppe war inzwischen kalt geworden, aber sie hatte keinen Appetit. Und das schon seit Tagen.
»Du bist dünn geworden, viel zu dünn, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben«, stellte Alexander nun auch noch zu allem Überfluss fest. Irritiert schaute sie ihn an. »Entschuldige, das war jetzt nicht sehr galant. Es ist der Kummer und die Trauer um den Verlust deiner mütterlichen Freundin, nicht wahr, Eleonora?«
Sie nickte stumm.
»Aber nicht nur du hast sie geliebt, sondern sie dich auch. So sehr, dass sie sogar ihren eigenen Enkel in Acht und Bann tat«, setzte er hinzu.
»Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden, Erlaucht«, stieß sie hervor.
»Ach, Nora, carissima Norina, lass bitte diese förmliche Anrede. Vor sechs Jahren haben wir sogar du zueinander gesagt«, wehrte Alexander ab.
»Das ist lange her, inzwischen ist viel geschehen.«
»Sehr viel, viel zu viel und leider nicht nur Angenehmes, ganz im Gegenteil, und es wird auch nicht besser werden«, bestätigte Alexander, von dunklen Ahnungen übermannt.
»Sie sehen für die Zukunft sehr schwarz.«
»Nicht schwarz, sondern nur realistisch«, behauptete Alexander. Plötzlich richtete er sich gerade auf und atmete tief durch. »Wenden wir uns angenehmeren Dingen zu, zum Beispiel dir,
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