Flamme der Freiheit
da bist du ja. Habe ich dich also doch noch gefunden«, sagte Alexander und blieb vor ihr stehen.
»Alexander«, erwiderte sie tonlos.
»Mein Gott, was freue ich mich, dich wiederzusehen. Ich habe dich in der Kirche singen hören. Ich habe deine Stimme sofort erkannt. Aber ich habe dich in der Menschenmenge nicht entdecken können. Beim Hinausgehen habe ich versucht dich zu finden, aber du warst schon fort. Hin und her bin ich gelaufen, habe Hinz und Kunz nach der unbekannten Sängerin gefragt. Niemand wusste deinen Namen.« Er hielt inne, um Atem zu schöpfen.
»Kaum einer kennt heute meinen Namen, meinen richtigen Namen, Eleonora Prohaska«, sagte sie leise.
»Dabei sollte man ihn eigentlich in ganz Europa kennen«, entgegnete Alexander genauso leise.
»Erinnern Sie sich an Ihre Prophezeiung? Sie haben recht behalten, es hat kein Debüt für mich gegeben.«
»Wie ist es dir dann in den letzten Jahren ergangen? Was hast du gemacht? Warum hast du damals so fluchtartig unser Haus verlassen?«, bestürmte sie Alexander, ohne auf ihre Frage einzugehen.
»Das sind zu viele Fragen auf einmal.«
»Wir werden uns die Zeit nehmen, sie ausführlich zu beantworten«, erwiderte Alexander, hakte sie unter und zog sie einfach mit sich.
Auf einer der Bänke des Tiergartens ließen sie sich nieder. Wie ein Wasserfall brach es aus Alexander heraus. So erfuhr Eleonora die Geschichte seines militärischen Werdegangs, erlebte im Geiste die Schlachten von Jena und Auerstedt mit, fror mit ihm, als er von seinem Aufenthalt in Königsberg berichtete, wohin man ihn zeitweise während des königlichen Exils geschickt hatte, litt mit ihm, als er von seinen Verwundungen erzählte, und ließ ihn nicht aus den Augen. Wie alt war er mittlerweile? Er musste Mitte dreißig sein, rechnete Eleonora nach. Sie war ja auch schon fünfundzwanzig, eine alte Jungfer.
»Du bist noch schöner geworden, Eleonora«, sagte Alexander. Behutsam zog er ihr den kleinen Spitzenschleier vom Gesicht, um sie besser betrachten zu können. »Du trauerst tief um unsere Königin«, stellte er zärtlich fest. »Aber sogar der Kummer steht dir gut.«
»Ich habe sie doch auch persönlich gekannt. Diese sorglosen Tage auf Paretz werde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen«, erwiderte Eleonora. »Sie war so liebreizend und nett zu mir. Und dann Prinzessin Charlotte, mit der ich im Park gesungen habe.«
»Der Kuckuck und der Esel«, sang Alexander leise.
»Woher wissen Sie das?«, fragte Eleonora ertappt.
»Sogar die Wände königlicher Schlösser können Ohren haben«, behauptete Alexander. »Aber in diesem Falle war es die Gräfin von Voss, die mir davon in Königsberg erzählte. Königin Luise verzehrte sich vor Heimweh nach Berlin und ihrem geliebten Paretz. Auch dich hatte sie in guter Erinnerung behalten.«
»Wirklich?«, vergewisserte sie sich und unterdrückte ein Schluchzen.
Es begann zu dämmern, aber es war immer noch warm. Vom Turm einer in der Ferne stehenden Kirche begann die Uhr zu schlagen.
Eleonora zählte im Geiste mit. »Halb acht!«, rief sie erschrocken aus. »Ich muss mich beeilen. Um acht Uhr fährt meine Kutsche nach Hohenschönhausen.«
»Was machst du in Hohenschönhausen?«, wollte Alexander wissen.
»Ich bin in Stellung«, erwiderte Eleonora würdevoll.
»Du bist was?«
»Ich habe dort bei einem Rechtsanwalt eine Stelle als Vorleserin, inzwischen sogar Privatsekretärin«, klärte sie ihn auf und wandte sich zum Gehen.
»Eleonora, warte, du kannst mich hier doch nicht einfach so sitzenlassen. Wir haben noch lange nicht über alles gesprochen«, rief Alexander und kam ihr hinterhergelaufen.
»Ich habe die ganze Zeit nur von mir geredet und dich kaum zu Wort kommen lassen. Was ist mit dir, wie ist es dir in den vergangenen Jahren ergangen? Was machen deine Pläne? Die Zeiten sind nicht besser geworden, aber bei aller Sparsamkeit, zu der Preußen in diesen Kriegen gezwungen wurde, beginnt sich doch wieder das kulturelle Leben zu regen. Du hast doch nicht aufgehört zu singen? Du kannst gar nicht aufgehört haben, so, wie du heute im Dom geklungen hast.«
Abrupt blieb Eleonora stehen. »Ich habe seit Jahren nicht mehr gesungen und werde auch nie mehr singen«, verkündete sie, konnte aber nicht verhindern, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.
»Nein!«, protestierte Alexander leidenschaftlich. »Du darfst nicht aufhören!«
»Ich habe bereits aufgehört, schon vor Jahren aufgehört.«
Eleonora lief tränenblind
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