Flamme der Freiheit
Stadt erreichten. Eleonoras Absätze klackerten laut über das Pflaster des Bürgersteigs. Sie hob sich auf die Zehenspitzen, um das in ihren Ohren aufdringliche Geräusch zu vermeiden. Sie musste ihre Schuhe unbedingt wieder einmal neu besohlen lassen, aber sogar das Leder für einfache Schuhsohlen war mittlerweile ein kaum bezahlbarer Luxusartikel geworden. Auf Zehenspitzen brachte sie kaum mehr ein Trippeln zustande und wurde merklich langsamer.
»Was ist, kannst du nicht mehr?«, fragte Alexander.
»O doch«, sagte Eleonora, ließ sich wieder auf die ganzen Fußsohlen zurücksinken und schritt weiter aus wie zuvor.
Alexander drückte ihren Arm und lachte ihr zu. Wie oft war Eleonora schon auf ihre Körpergröße angesprochen worden, aber Alexander überragte sie immer noch ein gutes Stück.
»Es macht Spaß, mit dir durch die Gegend zu laufen«, sagte er. »Mit dir kommt man voran. Mit einer Frau im Gleichschritt zu gehen ist für mich eine ganz neue Erfahrung. Wärst du ein Mann geworden, wärst du bei der Infanterie gelandet.« Er lachte.
»In den vergangenen Jahren habe ich mir so manches Mal gewünscht, ein Mann zu sein«, gestand Eleonora.
»Aber warum das denn?« Abrupt blieb Alexander stehen. »Dazu bist du doch viel zu schön.«
»Ein schöner Mann wäre vielleicht noch besser«, sagte Eleonora.
»Wie kommst du darauf, ein Mann sein zu wollen?« Alexander war nicht nur irritiert, sondern fast ärgerlich.
»Männer haben es leichter in dieser Welt«, behauptete Eleonora. »Sie können für das Leben lernen, werden nicht im stillen Kämmerlein eingesperrt und müssen auf den einen warten, der sie heiratet. Sie dürfen studieren, sie dürfen reisen, sie können sich unbefangen in der Öffentlichkeit bewegen, müssen keine Angst vor Belästigungen haben, können alleine Lokale, Restaurants, Theater und andere Vorstellungen besuchen.«
»Aber das tun Frauen doch auch«, meinte Alexander.
»Doch nur in Begleitung. Eine Frau, die sich alleine in der Öffentlichkeit bewegt, wenn sie nicht gerade auf dem Markt einkauft oder in die Kirche geht, hat immer etwas Anrüchiges«, sagte Eleonora. Alexander runzelte die Stirn und schwieg.
Es waren nur noch wenige Minuten, bis sie vor der Haustür des Prewitzschen Stadtpalais stehen würden. Beim Gedanken daran, dass sie bald vor ihrem ehemaligen Zuhause stehen würde, wurde Eleonora beklommen zumute.
»Dafür müssen Frauen aber auch nicht in den Krieg ziehen, müssen sich nicht den Gefahren von Verletzung oder gar Tod aussetzen, müssen sich nicht mit Kälte und Hitze, Hunger und Elend plagen«, sagte Alexander, der immer noch über Eleonoras Klage grübelte.
»Wenn es mir erlaubt wäre, würde ich auch in den Krieg ziehen«, behauptete sie kühn.
»Warum, Eleonora, warum? Genügt es dir nicht, dass wir Männer das Land verteidigen, versuchen die Ehre Preußens wiederherzustellen?«
»Nein, es genügt mir nicht, es muss noch viel mehr passieren«, forderte Eleonora.
Inzwischen waren sie in die Straße, in der das Prewitzsche Stadtpalais stand, eingebogen. Im Licht der jetzt spärlicheren Straßenbeleuchtung erkannte Eleonora seine Silhouette sofort wieder. Ihr Herz begann zu klopfen. Seite an Seite schritten sie die wenigen Stufen bis zum Eingangsportal hinauf.
»Du bist ja eine Kämpferin, Eleonora«, sagte Alexander.
»Überrascht dich das, oder stört dich das? Du weißt doch, dass ich nicht mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wurde.« Ihr Ton war schärfer als beabsichtigt. Das lag wohl an der Aufregung, nach all den Jahren das Stadtpalais wieder zu betreten, von dem sie sich eigentlich geschworen hatte, niemals je wieder einen Fuß über dessen Schwelle zu setzen.
Lautlos öffnete sich die schwere Eingangstür. Irgendein dienstbarer Geist schien die Ankunft des jungen Grafen erwartet zu haben. Die Livree war Eleonora vertraut, aber fremd der junge Mann, der in ihr steckte und sich jetzt respektvoll vor Alexander verneigte.
»Erlaucht, zu Ihren Diensten.«
»Guten Abend, Richard. Ich habe mich verspätet, umso größer daher mein Appetit«, erwiderte Alexander. »Wie Sie sehen, habe ich auch einen Gast mitgebracht. Also sorgen Sie dafür, dass im Gartensaal ein zweites Gedeck aufgelegt wird, und sagen Sie den Zofen Bescheid, dass oben das Zimmer neben dem neuen Musiksalon für unseren Gast fertig gemacht wird.«
Der Diener richtete sich auf. »Sehr wohl, Erlaucht«, sagte er gemessen und warf Eleonora von der Seite einen verstohlenen
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