Flamme der Freiheit
Minuten mit meiner ehemaligen Vorleserin gönnen«, bat er schließlich Alexander, so das unbehagliche Schweigen unterbrechend. Er drehte sich zu ihm hin und schenkte ihm dieses ganz besondere Lächeln, das Alexander völlig entwaffnete. Eher verdutzt trat er den Rückzug an.
»Ich warte draußen in der Kutsche auf dich, Eleonora«, sagte er und verbeugte sich. »Meine Empfehlung, Dr. Hedebrink.«
Mit geneigtem Kopf wartete dieser, bis er die Tür ins Schloss fallen hörte. »Sie lieben ihn!«, sagte er zu Eleonora. »Und das seit langer Zeit.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Ach, Christine, nein, Eleonora«, seufzte Hedebrink. »Sie müssten doch inzwischen wissen, dass wir Blinden viel mehr sehen als ihr Sehenden. Ich spüre einfach Ihre tiefe Liebe, die Sie diesem Mann entgegenbringen. Aber ich weiß nicht …« Er unterbrach sich und schwieg.
»Was wissen Sie nicht?«, erkundigte sich Eleonora, von plötzlichem Unbehagen erfüllt.
»Schon gut, schon gut«, wehrte er hastig ab.
»Was wollten Sie sagen, was wissen Sie nicht?«, insistierte Eleonora.
»Lassen Sie es gut sein, Christine, ich werde Sie weiterhin so nennen«, wich er ihr aus. »Ich wünsche Ihnen alles, alles Gute für Ihre Zukunft, dass sie genauso verläuft, wie sie sich gerade abzuzeichnen scheint, dass Sie eines Tages doch wieder auf der Bühne stehen und sich der unerschütterlichen Zuneigung des Grafen von Prewitz für immer erfreuen mögen.«
Eleonora klang das alles plötzlich ein bisschen zu dick aufgetragen. »Meinen Sie das wirklich ernst?«
»Ich wünsche es Ihnen von ganzem Herzen«, erwiderte Hedebrink diplomatisch. »Bitte lassen Sie mich jetzt alleine!« Er stützte den Kopf in seine Rechte und tat so, als hätte er ihre Gegenwart bereits vergessen.
»Ein seltsamer, aber beeindruckender Mann«, sagte Alexander in der Kutsche.
»Ein sehr kluger Mann, von dem ich viel gelernt habe«, korrigierte Eleonora ihn.
»Ach, Eleonora, du scheinst genauso wissbegierig geblieben zu sein wie damals als junges Mädchen«, entgegnete er lachend und zog sie an sich.
»Und du scheinst viel mehr über mich zu wissen, als ich ahnte«, stellte sie überrascht fest.
»Ich bin stets bestens auf dem Laufenden gehalten worden«, erklärte er. »Kein Brief meiner Großmutter, in dem sie mich nicht über deine Fortschritte unterrichtete, kein Brief meiner Mutter, in dem sie sich nicht über deine Anwesenheit beklagte, ja, besonders über deine Wissbegierde, dass meine Großmutter diese sogar noch förderte, dazu deine großartige Begabung, die zu großen Hoffnungen Anlass bot.«
»Vorbei! Das ist alles vorbei«, unterbrach Eleonora ihn hastig.
»Wir werden sehen«, erwiderte Alexander und zog sie noch fester an sich.
Zu Eleonoras großer Enttäuschung war von den alten Bediensteten auf Schloss Sophienhof niemand mehr übrig geblieben. Aber auch das neue Personal war gut geschult, verzog beim Anblick von Eleonora keine Miene, sondern nahm ihren Besuch als eine Selbstverständlichkeit hin. Sie wurde als Demoiselle Prohaska vorgestellt. In welchem Verhältnis sie zu dem jungen Grafen stand, wurde nicht angesprochen. Aber ihrer beider Benehmen sprach Bände.
Eleonora und Alexander benahmen sich in diesen Sommertagen wie ein frisch verliebtes junges Paar. Alexander machte aus seinen Gefühlen ihr gegenüber kein Hehl. Mit seinem Temperament und seiner Herzlichkeit gelang es ihm, Eleonora aus ihrer Reserve zu locken. Nach und nach verlor sie ihre Zurückhaltung, legte ihre Spröde ab und verwandelte sich in eine bis über beide Ohren verliebte junge Frau. Hand in Hand zogen sie durch die Wälder und Wiesen, lagen im hohen Gras, kitzelten sich mit langen Halmen und schauten versonnen den ziehenden Wolken nach. Im Buchenwald zeigte Eleonora ihm ihren Rückzug, wo sie die Partitur der Leonore einstudiert und von dem Tod der Gräfin erfahren hatte. Bei der Erinnerung daran brach sie in Tränen aus. Alexander küsste sie ihr von den Wangen.
Frühmorgens ritten sie aus, nahmen gemeinsam anschließend ein kräftigendes Frühstück ein, ehe sich ihre Wege für ein paar Stunden trennten. Bis zur Mittagszeit zog sich Alexander mit seinem Verwalter in dessen Diensträume zurück, um die laufenden Angelegenheiten von Schloss Sophienhof zu besprechen, zu planen und zu regeln. Eleonora verbrachte diese Stunden entweder auf ihrem Zimmer oder in der Bibliothek, wo sie sich ausgiebig dem Studium der neueren Literatur widmete. Oder sie las in den Briefen von
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