Flamme der Freiheit
hatte ihn schon als Siebzehnjährige geliebt. Aber was war das damals für ein Gefühl gewesen? Scheue Anbetung, eine romantische, unerfüllte Liebe aus der Ferne. Doch nun? Sie war eine erwachsene Frau von fünfundzwanzig Jahren. Eine reife Frau, deren Sinnlichkeit Alexander verstanden hatte zu erwecken, deren verlangende Lust er zu stillen vermochte.
Eleonora war eine gelehrige Schülerin. So dauerte es nur wenige Tage, bis sie herausgefunden hatte, wie sie Alexander reizen konnte, seine Lust erweckte, sie steigerte, sie bis zur Ekstase hochpeitschen konnte, bis sie schließlich in wildem Verlangen übereinander herfielen. Sie waren verrückt nacheinander.
In der Abgeschiedenheit von Sophienhof konnten sie ihre Lust und Liebe ungehemmt ausleben. Das Personal nahm ihre Verliebtheit mit einer Mischung aus amüsierter Gelassenheit und gerührtem Wohlwollen auf. Niemals war etwas Anzügliches, Respektloses in ihren Blicken zu entdecken. Man hatte seine Freude an dem schönen Paar und tat alles, um ihm seinen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten.
Eleonora und Alexander änderten nach dieser ersten Nacht nicht viel an ihrem Tagesrhythmus. Sie frühstückten gemeinsam, sie widmete sich ihren Studien in der Bibliothek, er der Kameralistik eines preußischen Latifundiums. Nach dem Mittagessen zogen sie sich zu einer Siesta, die keine Siesta war, zurück und nahmen danach gemeinsam den five o’clock tea ein.
Eleonora schimmerten Tränen in den Augen, als sie zum ersten Mal nach so langer Zeit den Tee aus dem silbernen Geschirr in eine feine Porzellantasse goss. Alexander beobachtete sie.
»Du trauerst immer noch um meine Großmutter«, stellte er fest.
»Sie war die wichtigste Frau in meinem Leben«, bestätigte Eleonora.
»Was würde sie wohl jetzt sagen, wenn sie uns beide hier so sitzen sehen könnte?«, sagte er nachdenklich. Seine Frage erschreckte sie. »Hast du eigentlich den Brief von ihr an dich mittlerweile gelesen?«
Eleonora nickte.
»Und was stand darin?«, wollte er neugierig wissen.
»Hast du niemals etwas vom Briefgeheimnis gehört?«, versuchte Eleonora ihn leichthin abzutun. »Du weißt doch, wie sehr deine Großmutter auf Diskretion und Wahrung der Privatsphäre pochte.«
Alexander kniff die Augen zusammen und beobachtete sie scharf. »Mir kannst du es trotzdem sagen, wir haben doch keine Geheimnisse voreinander«, behauptete er.
»Doch!«, widersprach Eleonora heftig.
Seine Augen verengten sich zu zwei schmalen Schlitzen. »Wirklich?«, fragte er gedehnt. »Oder steht etwas für mich nicht sehr Schmeichelhaftes in dem Brief?«
»Tatsachen sind selten schmeichelhaft«, entfuhr es Eleonora.
»Und welche Tatsache möchtest du mir vorenthalten? Was hat meine Großmutter denn über mich geschrieben?«
»Dass du nicht der richtige Mann für mich bist«, antwortete Eleonora.
Alexander warf den Kopf in den Nacken und lachte aus vollem Hals. »Das hat sie schon damals zu mir gesagt«, erwiderte er. »Damals mochte sie sogar recht gehabt haben. Ich war ein junger, unreifer Spund. Ja, vielleicht hätte ich dich damals wirklich verletzt, wenn wir uns nähergekommen wären, denn du warst so jung und unerfahren. Aber heute? Wir sind doch zwei erwachsene Menschen.«
»Ihr letzter Satz war, dass du mich niemals heiraten würdest. Eigentlich hättest du seit Jahren schon verheiratet sein können, hätte sich deine Verlobte nicht so unsterblich in einen sizilianischen Conte verliebt«, setzte sie ein wenig maliziös hinzu.
Alexander lachte noch lauter, aber es klang gezwungen. »Karoline, die gute Karoline, ja, ich hätte sie wahrscheinlich tatsächlich geheiratet, aber so …« Er sprang auf und begann unruhig herumzulaufen. Mit wenigen Schritten hatte er den kleinen Salon durchquert, hin und her. Eleonora beobachtete ihn. Plötzlich blieb er vor ihr stehen. »Es mag sein, dass ich vielleicht nicht der richtige Mann für dich bin, aber du bist die richtige Frau für mich, Eleonora«, sagte er rauh. Eine unerträgliche Spannung stand plötzlich zwischen ihnen, schob sich zwischen sie wie eine unüberwindbare Mauer. Eleonora sprang gleichfalls auf.
»Wie kannst du nur so etwas behaupten?«, rief sie aufgebracht. »Seit fast zehn Jahren habe ich mich vor Sehnsucht und Liebe nach dir verzehrt. Schließlich habe ich meine Gefühle ganz tief und fest in mir verschlossen, ließ keinen anderen Menschen an mich heran. Ich war innerlich tot, drauf und dran, eine alte verbitterte Jungfer zu werden.
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