Flamme der Freiheit
er ihr manchmal vorkam wie ein Bruder, der sie wie eine Schwester gar zu gerne nach Herzenslust neckte, sie aufzog oder ihr kleine Streiche spielte, so leidenschaftlich und voller Begehren er sich ihr gegenüber in den heißen Sommernächten zeigte, blieb in ihrem Inneren ein nagendes Gefühl. So gab es immer wieder Momente, ja Stunden des Rückzugs, in denen er sie brüsk abwies und ihr eine fast beleidigende Kälte zeigte. Wenn er aus seinen finsteren Grübeleien hochschreckte und sie sekundenlang verwirrt anschaute, hatte Eleonora den Eindruck, dass er gar nicht wusste, wo er und wer sie eigentlich war.
Sosehr sie den ihr zugewandten, liebevollen Alexander, der sie umwarb, mit Komplimenten überschüttete, ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmete, als wäre sie der einzige und für ihn wichtigste Mensch auf dieser Welt, liebte, so sehr lernte sie den anderen Alexander zu fürchten.
Wie hatte es Gräfin Dorothea in ihrem Brief geschrieben: »Es steht noch offen, in welcher Richtung er sich einmal entwickeln wird. Das wird das Schicksal erweisen.«
Ob sie mit der jetzigen Entwicklung zufrieden gewesen wäre? Was hätte sie zu der Selbstverständlichkeit gesagt, mit der sie, Eleonora, und Alexander wochenlang ganz offen als Liebespaar auf Sophienhof zusammenlebten. Comme il faut war das auf keinen Fall.
Und wie sollte es in der Zukunft mit ihnen weitergehen?
Erst jetzt wurde ihr bewusst, in welche Abhängigkeit sie sich mit dieser spontanen Reise nach Sophienhof begeben hatte. Ob es die richtige Entscheidung gewesen war, so Hals über Kopf bei Hedebrink ihre Stellung aufzugeben? Im Nachhinein überkamen Eleonora Zweifel.
»Du wirst es nicht mehr nötig haben zu arbeiten?« Was genau hatte Alexander damit überhaupt gemeint? Diese Tage auf Sophienhof betrachtete Eleonora als eine Einladung, die zu akzeptieren sie vermochte. Aber was kam danach? In Berlin hatte er Andeutungen gemacht, ihr den Weg zurück zur Bühne zu ebnen. Aber während der Wochen auf Sophienhof kam er nie mehr darauf zu sprechen. Je länger Eleonora darüber nachdachte, desto unsicherer und auch bedrückter wurde sie.
Schweigend saßen sie sich eines Morgens beim Frühstück gegenüber. Alexander war mal wieder in seine Grübelei versunken. Eleonora machte sich Sorgen um ihre ungewisse Zukunft. Umso deutlicher waren daher die raschen Hufschläge eines herangaloppierenden Pferdes zu hören. Direkt vor dem Haus kamen sie zum Stillstand. Durch das geöffnete Fenster war das Schnauben und Wiehern eines Pferdes zu vernehmen und unmittelbar darauf das hastige Knallen von Stiefelabsätzen auf dem Pflaster des Schlosshofs.
Alexander runzelte unwillig die Stirn. »Das kann nichts Gutes bedeuten«, sagte er. Er erhob sich, ging zur Terrassentür und riss sie auf. »Sie können sich den Gang durch das Eingangsportal ersparen«, rief er durch die geöffnete Tür. »Kommen Sie gleich hierher zu mir.«
Der fremde Reiter hielt in seinem Lauf inne, stutzte kurz und leistete der Aufforderung Folge. Keuchend kam er vor Alexander zum Stehen und überreichte ihm einen großen versiegelten Umschlag. Dieser riss ihn auf, entnahm ihm ein Schreiben und überflog es.
Eleonora wartete, das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
Alexander wurde blass. Er ließ den Briefbogen sinken. »Graf Ludovic ist gestorben«, sagte er.
»Dein Großvater?«, rief Eleonora bestürzt.
»Das ist aber noch nicht alles«, setzte Alexander tonlos hinzu. »Man hat mich zu seinem Nachfolger und damit zum General ernannt. Ich soll umgehend nach Hannover kommen.«
»Ich dachte, du hättest den Militärdienst quittiert?«, rutschte es Eleonora heraus.
»Wie bitte, was sagtest du?« Alexander schaute sie wieder mit diesem seltsamen Blick an.
»Ich dachte, du hättest den Militärdienst quittiert«, wiederholte sie leise.
»Ich? Das Militär verlassen? Niemals! Wie kommst du auf eine solch absurde Idee?« Entrüstet sah er sie an. »Ich habe mich lediglich für einige Monate suspendieren lassen, um endlich meine Angelegenheiten in Berlin und hier auf Sophienhof zu ordnen, denn es war wirklich an der Zeit. Seit dem Tod meiner Großmutter hatte ich das ziemlich schleifenlassen. Na ja, auch kein Wunder in diesen turbulenten Zeiten. Aber wenn mich meine dienstliche Pflicht ruft, stehe ich selbstverständlich auf der Stelle zur Verfügung.« Er faltete den Brief zusammen und steckte ihn in die Innentasche seines sommerlichen Jacketts, das er die ganzen Tage getragen hatte. »Jetzt heißt es
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